Ich kann der Novelle zum Fortpflanzungsmedizingesetz, die heute im Parlament abgestimmt wird nicht meine Stimme geben. Inhaltlich habe ich meine Beweggründe im Kommentar der „Kleine Zeitung“ wie folgt ausführlich begründet:
Vom Kinderwunsch zum Recht auf ein Wunschkind
Dieses Gesetz ist eine Gewissensabstimmung über unsere Werte
Das Fortpflanzungsmedizingesetz (FMedG) wird dieser Tage im Parlament zur Abstimmung kommen. Soll und darf man alles erlauben, was technisch machbar und ökonomisch ertragreich ist?
Hinter all diesen Themen verbergen sich grundsätzliche ethische und nicht zuletzt auch gesellschaftspolitisch weitreichende Fragestellungen. Sie bewegen die Menschen und daher braucht es eine breite gesellschaftliche Diskussion. Wäre es nicht demokratiepolitisch verantwortungsvoller, analog der parlamentarischen Enquete zur Würde am Ende des Lebens, eine Enquete zur Würde am Anfang des Lebens durchzuführen?
Notwendig war die Novelle zum FMedG geworden, da ein lesbisches Paar aus Oberösterreich geklagt hat, dass es ihren Kinderwunsch aufgrund des Verbots der Sameninsimination für gleichgeschlechtliche Paare nicht erfüllen kann. Dies soll mit diesem Gesetz jetzt ermöglicht werden. Aber es geht weit über die Beschlussfassung des Verfassungsgerichtshofes hinaus. Meine Kritikpunkte betreffen insbesondere:
1. Das Wohl des Kindes wird mit Füßen getreten
Durch die Ermöglichung der Verwendung fremder Ei- und Samenzellen wird die genetische von der sozialen Elternschaft bewusst getrennt. Das FMedG ignoriert zutiefst die existenziellen Bedürfnisse der hier entstehenden Kinder. Ihre Identitätsentwicklung ist eine doppelte und eine wesentlich komplexere, ohne dass die Verfasser des FMedG auch nur in Ansätzen dafür Sorge tragen, dass die werdenden Eltern darauf vorbereitet werden. Die Kinderrechtskonvention der UNO sieht im Artikel 7 das Recht jedes Kindes vor, seine Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden. Nun hat das Kind zwar das Recht, mit 14 Jahren seine genetischen Abstammung zu erfahren. Doch bleibt dies totes Recht, wenn die sozialen Eltern dem Kind seine tatsächliche Herkunft verschweigen – so wie es die meisten tun. Die im FMedG fehlende Verpflichtung zur Aufklärung, verletzt nicht nur die UN Kinderrechtskonvention, sondern steht auch im krassen Widerspruch zu den entwicklungspsychologischen Erkenntnissen, wonach es für die Kinder wesentlich besser verkraftbar ist, von klein auf die Wahrheit zu erfahren. Davon abgesehen bleibt diese Möglichkeit eine rein theoretische, da kein zentrales Register von Samen- und Eizellspenden vorgesehen ist.
Auch der „augenzwinkernde“ Hinweis von Befürwortern des FMedG, dass es doch auch Kuckuckskinder gebe, bei denen ein Elternteil ebenso nicht genetisch sei, ist zynisch angesichts der Tatsache, dass viele „Kuckuckskinder“ berichten, immer unwohl bis quälend gespürt zu haben, dass „etwas“ nicht stimmt. Diese Lebenslüge lastet enorm auch auf der Eltern-Kind Beziehung. Kuckuckskinder passieren, man kann nur raten sich möglichst frühzeitig zur Ehrlichkeit durchzuringen. Aber das FMedG schafft erst die Ursache für Lebenslügen, mit denen die Kinder dann fertig werden müssen, oft ein Leben lang. Justament das lesbische Paar aus Wels, welche die Verfassungsklage angestrengt hat, sagt im Ö1-Interview (Praxis 17.12.), dass es für sie wichtig sei, den Samenspender zu kennen, „er soll den Kontakt zum Kind nicht scheuen“. Sie wissen um die Bedeutung des genetischen Vaters für das Kind. Sie sprechen es aus und zeigen, dass ihnen das Wohl des Kindes offenbar ein sehr großes Anliegen ist und nicht nur ihr Kinderwunsch. Dieser Intention trägt das FMedG keineswegs Rechnung.
Auf der Suche nach den genetischen Ursprüngen stoßen die Jugendlichen möglicherweise auf die Tatsache, dass sie viele Halbgeschwister haben. In den USA, wo diese Reproduktionspraktiken schon länger Usus sind, stoßen Erwachsene auf die Tatsache, dass sie über 100 Halbgeschwister verstreut über das Land haben. In Österreich werden die Samenspenden zwar auf drei Kinder reduziert, da es aber viele Spenden-Stellen ohne zentrales Register geben wird, kann es zu ähnlichen Zuständen kommen.
2. Frauengesundheit und Frauenrechte werden aufs Spiel gesetzt
Der häufigste Grund für assistierte Fortpflanzung ist das Alter, denn ab 35 Jahren nimmt die weibliche Fruchtbarkeit rasant ab und das Risiko für Mutter und Kind steigt. Es kann doch nicht sein, dass wegen mangelnder Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf die Erfüllung des Kinderwunsches immer mehr nach hinten rutscht. Egg freezing, wie es der facebook-Konzern den Mitarbeiterinnen mit Karrierewunsch anbietet, ist ja nur der Gipfel eines Eisbergs. Wo bleibt der Aufstand von uns allen?
Es gibt Frauen, die nachhaltige gesundheitliche Probleme oder schwerwiegende Krankheiten durch die für eine Eizellspende notwendige Hormonbehandlung haben. Eine Eizellspende ist ein starker medizinischer Eingriff und daher eher mit einer Nierenspende als mit einer Samenspende vergleichbar. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte äußerte 2011 die Bedenken, dass durch die Eizellspende ärmere Frauen ausgebeutet werden könnten. Er erachtet daher das Verbot der Eizellspende als vereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention! Daher muss die Eizellspende auch in Österreich verboten bleiben, wie es im Übrigen auch in Deutschland der Fall ist.
Niemand will derzeit in Österreich die Leihmutterschaft zulassen, gut so. Aber warum verbieten wir es dann nicht, wenn Österreicher ins Ausland fahren und diese „Dienstleistung“ dort von ärmeren Frauen in Anspruch nehmen.?Auch das muss strafbar werden!
3. Der Selektion wird nach drei fehlgegangenen IVF-Versuchen Tür und Tor geöffnet
Mit dem Gesetz wird auch die PID als Selektionsverfahren zwischen wertem und unwertem Leben ermöglicht. Unter dem Mikroskop werden Embryonen im Rahmen von IVF auf Erbkrankheiten untersucht. Laut FMedG hätten Kinder, die dauerhaft auf Pflege oder medizinische Hilfsmittel angewiesen sind, kein Lebensrecht mehr. In verschiedenen Staaten ist die Formulierung „schwere, nicht behandelbare Erbkrankheit“ längst durchlässig geworden. Der Gesetzgeber in Deutschland ist sich des ethischen Sprengstoffs, der sich hinter der PID verbirgt, bewusst und beschränkt diese daher auf ganz bestimmte eingegrenzte Erbkrankheiten, die bei den Eltern diagnostiziert wurden.
Das österreichische FMedG gibt die PID zudem nach drei fehlgeschlagenen IVF -Versuchen frei, ohne dass die Ursache der misslungenen IVF Versuche geklärt ist und ohne dass bei den genetischen Eltern des Kindes eine Erbkrankheit vorliegen muss! Eine ethische Begründung für diese völlige Öffnung sucht man vergebens! Da viele Erbkrankheiten geschlechterspezifisch sind, wird hier im Gesetz auch für eine Selektion nach Geschlecht eine Hintertür geöffnet.
4. Ohne Daten und Fakten ist keine evidenzbasierte Politik möglich
Die Erfinder der PID argumentieren, dass mit deren Einführung die Zahl der Spätabtreibungen (bei Verdacht auf eine Behinderung darf über die Fristenregelung hinaus bis zur Geburt abgetrieben werden) abnehmen werden. Es ist daher nicht nachvollziehbar, warum nicht ein generelles Verbot von Fetozid d.h. ein Verbot der Tötung eines außerhalb des Körpers der Mutter lebensfähigen Fötus durch eine Kaliumchlorid-Spritze, welche durch die Bauchdecke der Mutter in das Herz des Fötus gespritzt wird, vorgesehen wird. Außerdem braucht es – analog zur Regelung in Deutschland – eine verpflichtende Bedenkzeit von drei Tagen zwischen Diagnose und Entscheidung. Und natürlich auch eine Statistik über Schwangerschaftsabbrüche, besonders über Spätabtreibungen. Denn wenn es, wie behauptet, durch die PID tatsächlich weniger Spätabtreibungen geben sollte, muss das auch belegt werden können. Nur mit einer evidenzbasierten Politik sind seriöse und sachliche Diskussionen und in Folge dann auch die politischen Maßnahmen möglich.
Die ganz große Mehrheit dieser Fragestellungen entzieht sich der Logik der Humangenetik! Hier geht es um ganz zentrale, individuelle und gesellschaftliche Weichenstellungen mit langfristigen Folgewirkungen. Daher braucht es vor der Inanspruchnahme dieser Techniken gesetzlich verpflichtende Beratung und Informationsseminare,die völlig unabhängig von den „Kinderwunschzentren“ angeboten werden müssen. In diesen Beratungen und Seminaren müssen insbesondere die Fragen der Frauengesundheit, die Wahrung der Kinderrechte, die Motive des Kinderwunsches sowie Möglichkeiten und Perspektiven eines Lebens mit Behinderung bearbeitet werden.
Beim FMedG geht es im Kern um eine Gewissensabstimmung über unsere Sichtweise auf das gesamte Leben, über unsere Verantwortung für kommende Generationen und über die Selektion zwischen wertem und unwertem Leben.
Manche glauben zu wissen, dass ich diesem Gesetz meine Zustimmung verweigere, weil ich behindert bin. Das stimmt nicht. Ich werde dieses Gesetz ablehnen aus einer gut begründeten Überzeugung heraus und weil ich das Leben liebe.