11.3.

Wir haben heute zur Feier des Tages eine Kerze angezündet. Happy birthday, Katharina. Jetzt bist du schon ein Monat bei uns. Uns kommt es schon wie eine Ewigkeit vor. Altern wir jetzt schneller? Du bist gar nicht mehr wegzudenken! Wie fad wäre uns, wenn du nicht alle drei Stunden Hunger hättest, wenn wir dich nicht im Schlaf beobachten könnten, wenn wir uns nicht über dein Bauchweh Sorgen machen könnten …?

Gegen dieses verflixte Bauchweh scheinen nicht viele Kräuter gewachsen zu sein. Gestern Abend waren wir ziemlich verzweifelt, Katharina weinte bitterlichst. Offensichtlich hatte sie eine furchtbare Verstopfung, denn sie drückte wieder und immer wieder, bis sie ganz rot im Gesicht war. Aber die Windel blieb und blieb sauber, was wir auch durch noch so oftes Nachsehen nicht ändern konnten. Wir waren ziemlich verzweifelt. Als wir um 23 Uhr gar nicht mehr weiter wussten, fiel Judit eine ehemalige Arbeitskollegin ein, die sich im zweiten Bildungsweg von einer Ministersekretärin zur Hebamme umschulen ließ (Begründung für den Jobwechsel: sie wollte wieder mit Menschen arbeiten). Die Hebamme wusste tatsächlich Rat und Judit steckte Katharina einen Fieberthermometer in den winzigen After und schon quoll unter Begeisterungsrufen der Eltern aus Katharinas Bauch ein kleines grünes Schleimhäufchen. Schon lange hatten wir uns über etwas nicht so gefreut.

Heute war eine andere Freundin von Judit auf Besuch, auch nach drei mehr oder weniger gewünschten Kindern eine erfahrene Mutter. Sie massierte Katharina im Uhrzeigersinn am Bauch, ebenfalls mit sehr befreiender Wirkung. Gute Tipps bekamen wir von verschiedenen Seiten, so schickte uns die Tochter meiner Chefin, ebenfalls Mutter von zwei Kindern, Ratschläge per Internet: Homöopathische Tropfen Camomilla, Windsalbe … „für all diese Dinge gilt“, schrieb sie im eMail, „wenn sie auch nicht helfen, so vergeht doch immerhin die Zeit. Und in sechs Monaten ist es mit dem Bauchweh dann vorbei“. In einem Elternratgeber habe ich dies bestätigt bekommen, allerdings beginnt dann das Zahnweh. Uns wird also nicht so schnell langweilig.

 

13.3.

Unsere Wohnung wird langsam zu klein. Es herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Ein Besucher gibt dem anderen die Türklinke in die Hand. Alle wollen unsere Tochter sehen. Eine richtige Sehenswürdigkeit ist Katharina. Wenn wir Eintrittsgelder verlangen würden, bräuchte ich auch nicht mehr zu arbeiten. Und wir würden wohl mehr verdienen als ich und Judit früher zusammen. So lieb uns alle Besucher sind, so anstrengend ist es, immer wieder dieselben Geschichten von Katharina zu erzählen. Beschenkt wird Katharina wie eine kleine Königin, vom Maxi Cosi über den Spazierwagen, den super kuscheligen Teddybären, den Kinderwagen … bis hin zur entspannenden Hängematte, die der Papa über eine von Mama angebrachten Schnur immer in Schwingung halten „darf“. Vaterrolle nennt man das wohl.

In meiner persönlichen Bewegungsfreiheit fühle ich mich leider, was ich hier einmal festhalten muss, zunehmend eingeschränkt. In den letzten Wochen hat sich unsere Wohnung in eine Wäscherei verwandelt, überall türmen sich kleine Wäscheberge mit verschiedenen Sauberkeits- und Trockengraden, alles kleine Mitbringsel der Besucher. Von Tag zu Tag wuchs so der Schwierigkeitsgrad für diesen Rollstuhl-Hindernisparcour. Der Höhepunkt der Wäscheansammlung und der damit verbundenen Belastbarkeit meiner Sportlichkeit wurde jedoch gestern erreicht. Judits Cousine betrat keuchend und ächzend, zwei riesengroße uralte Familienreisekoffern hinter sich herschleifend unsere Wohnung. Als sich der Kofferinhalt – Babywäsche von drei Generationen, frisch vom Vorarlberger Dachboden der Großeltern – über unseren Wohnungsboden ergoss, war für mich klar, dass ich nun entweder fliegen lernen oder wie ein Stuntman auf zwei Rollstuhlrädern durch die Wohnung fahren musste.

Egal ob morgens, mittags oder abends, egal ob Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag oder gar Sonntag, egal ob die Sonne scheint oder es gerade regnet, egal ob aufnehmender, abnehmender oder Vollmond, tagein und tagaus wieselte meine Schwiegermutter durch die Wohnung. Meistens steht sie am Bügelbrett oder am Herd, aber man sieht sie auch beim Fläschchen zubereiten oder beim Windelwechseln. Subjektivgesehen treffe ich meine Schwiegermutter öfters bei uns zuhause als meine Frau. Aber wie gesagt, das ist wohl nur subjektiv. Aber als ich Judit wieder mal in der Wohnung traf, sprach ich sie darauf an, ob ihre Mutter nicht vielleicht doch ein bisschen zu oft bei uns sei. Schließlich könnten fremde und bösartige Menschen annehmen, dass ich jetzt mit meiner Schwiegermutter verheiratet sei. Judit hingegen sieht das ganz anders: für sie ist ihre Mutter eine wichtige Stütze. Ein Argument, dem kaum etwas entgegenzusetzen ist. Da ich also merkte, dass ich so nicht weiterkam, änderte ich meine Taktik und führte ein nettes Gespräch zwischen Schwiegersohn und Schwiegervater. Was für eine großartige Großmutter seine Frau ist, führte ich an. Wie sehr sie sich für Katharina einsetzt, Tag und Nacht, sie kocht auch für uns ganz wunderbar. Und da sie ohnehin immer bei uns ist, wäre es wohl das beste, wenn wir auch ihren Wohnsitz bei uns anmelden, sie wohnt dann bei uns und erspart sich für die paar Stunden Schlaf immer extra heimzufahren. Und er, der Schwiegervater, könne ja immer zu uns essen kommen. Eigenartigerweise fand er das nicht so witzig und dürfte wohl mit seiner Frau ein ernstes Gespräch geführt haben. Jedenfalls kam meine Schwiegermutter nun nicht mehr ganz so oft.

 

Taufe ohne Stufen

Heute war die Taufe. Es war ein wunderschönes Fest. Nicht Kardinal Schönborn oder der Papst selbst hatten die Zeremonie geleitet sondern eine andere Berühmtheit: der Obdachlosenpfarrer von Wien, Thomas Kaupeny. In seine Messen gehen wir immer wieder und sie sind einzigartig und vor allem ehrlich und immer voller Überraschungen. Allzugerne erinnere ich mich an eine Messe, in der Kaupeny verkündete, dass der Portier eines Obdachlosenheimes leider diese Woche verstorben sei. Woraufhin ein obdachloser Messebesucher laut rausrief: „Aber mögen hat ihn keiner!“ Neben den Obdachlosen sind seine Messen auch immer von zahlreichen Kindern besucht, mit denen er selbstkomponierte Lieder singt oder die er während der Predigt am Arm hält und die an seinem Bart ziehen. Auch bei Katharinas Taufe wuselten viele Kinder am Altar herum, mit ihren mitgebrachten und angezündeten Taufkerzen. Katharina trug wie Kaupeny ein Stirnband. Und bei den Worten der Eltern, den Fürbitten des Schwiegervaters und den Liedern schmolzen die Herzen dahin und entrutschte so manche Träne. In Gedanken oder auch leise den Kaupeny-Ohrwurm vor sich hinsummend „Katharina, schön dass du da bist, schön, dass es dich gibt …“ verließen alle die Kirche.

Das Fest fand danach im Pfarrsaal Hietzing statt, natürlich ohne Stufen zugänglich und mit Rollstuhl-WC ausgestattet. Die Kirche in Hietzing bot sich auch an, weil sie keine Stufen am Eingang hat. Keine Selbstverständlichkeit, denn wir hatten im Vorfeld lange suchen müssen, bis wir diese Kombination gefunden hatten. Und natürlich wollte ich als Vater im Rollstuhl auch an der Taufe meiner Tochter teilnehmen. Zunächst besichtigten wir unsere Pfarrkirche in Meidling. Zur Kirche selbst führte eine Rampe, aber zum Pfarrsaal musste man einen Garten queren und dabei acht Stufen überwinden. Hilfsbereit lächelnd stand der Pfarrassistent oben auf den Stufen und ich ganz unten. „Man könnte ja vielleicht zwei Bretter hinlegen“, meinte er. Worauf ich meinte, dass das möglicherweise klappen müsste, wenn dann nämlich der Heilige Geist herunterkommt und dem Schieber die Kraft verleiht, 200 Kilo steil hinaufzuschieben. Ob er denn komme, fragte ich ihn. Nein, er habe frei, lächelte der Pfarrassistent froh. Ich schlug ihm vor, dass man seitlich über die Böschung einen serpentinartigen Weg anlegen könnte. Da könnte dann jeder drüber und man könnte auch die Stufen weggeben. „Die Stufen beseitigen!“, rief der Mann entsetzt, „nein, die müssen bleiben!“ – „Warum hängt ihr Herz so an diesen Stufen?“, fragte ich ihn nun schon etwas verärgert, „… an diesen Mahnmahlen der Diskriminierung …!“ Da stieß mich Judit und ich war schon wieder leise. Kurzum die Taufe fand nicht in dieser Kirche statt.