20.2.: Papa hat mal wieder kalte Füße. Kein Wunder, wenn man nur im Rollstuhl sitzt und nicht herumläuft, wie dies die Tochter immer wieder vorzeigt. Mama macht Papa ein Fußbad. Katharina hilft eifrig mit, die Schuhe auszuziehen, dann die Socken und ‚plumps’ sind die Füße im mit Wasser gefüllten Kübel. „Papa macht Fußbad“, sagt Katharina nickend. Es folgt unweigerlich: „Katharina auch!“ Katharina zieht ihre Schuhe schon alleine aus, Mama entfernt die Hose und die Windeln. Und dann steht Katharina stolz mit beiden Füßen in Papas Wanne. Unsere Füße berühren sich und Katharina lacht herzhaft, „Papa kitzelt“. „Wie alt ist die Katharina geworden“, frage ich sie. „Zwei Jahre“, sagt Katharina und der Papa ist ganz stolz. Katharina beginnt über ihren Geburtstag zu erzählen: „Viele Kinder… Nina Torte gekriegt… Bilgisu getanzt… “. Bilgisu hat Katharina stark beeindruckt. Nicht zu sehr, dass sie eine dunkle Hautfarbe hat – was wohl für Erwachsene große Bedeutung hat –, sondern wie toll sie tanzen konnte. Die beiden verstanden sich auf Anhieb und die gleichaltrige Bilgisu nahm Katharina an die Hand und drehte sich mit ihr wild im Kreis. Während der Vater es genoss, wie seine Füße durch das Wannenwasser immer wärmer wurden und entspannt darüber nachdachte, wie schnell die zwei Jahre vergangen sind, machte es plötzlich platsch, platsch, platsch. Papa schaut Katharina an. Katharina schaut Mama an. Mama schaut Papa an. Die Stille wird durch Katharinas laute Frage, „Was ist da los?!“ gebrochen. „Ja, was ist da los?“, fragt Papa. Und Mama überprüft mit einem Blick in den Wasserkübel, ob der Verdacht den Tatsachen entspricht. „Katharina Gaga macht!“. Papa nimmt es mehr oder weniger gelassen, kann er doch ohnehin nicht die Füße aus der Wanne ziehen.
10.3.: Jeden Tag in der Früh kommt eine Assistentin, die mich durchbewegt, wäscht, anzieht und das Frühstück gibt. Katharina ist stets live dabei. Sie steht beim Bett und kommentiert, „Papa aufstehen – Decke weg!“. Dann holt sie die Hand unter der Decke heraus und versucht sie in den Rollstuhl zu setzten. Leider hängt da der restliche Körper auch noch dran und damit übersteigt dies Katharinas Kräfte. Sie bringt zum Anziehen die Socken, die Schuhe und die Stützapparate. Diese Schienen benötigt Papa hin und wieder zum Aufstehen im Stehpult. Und da Katharina es liebt, wenn Papa im Stehpult steht, sorgt sie auch dafür, dass er dies regelmäßig tut. Wenn Papa frühstückt, fällt auch immer für Katarina etwas ab. Sitzt Papa im Rollstuhl, stellt sich Katharina auf die Fußpedale des Rollstuhls und fordert ihren Anteil am Frühstück. Steht Papa am Stehpult, darf Katharina auf diesem Hochsitz Platz nehmen und genießt neben dem Essen einen wunderbaren Ausblick.
5.4.: Mutter und Tochter haben Familienurlaub und sind für eine Woche nach Vorarlberg abgereist. Skiurlaub steht für Mama am Programm und eine Rodelwoche für Katharina. Da ich mich für diese winterlichen Vergnügungen kaum erwärmen kann, bleibe ich zu Hause und hüte das Haus. Einsamkeit und Stille machen sich breit, wenn die Wohnung nicht mit Katharinas lauter Stimme erfüllt ist und beim Fernsehabend fehlt auch Mamas warnende Stimme, dass man doch nicht neben dem Kind fernsehen soll. Höhepunkte dieser Woche waren die täglichen Anrufe. Judit berichtete aufgeregt von den Erlebnissen und Katharina hatte Gott sei Dank ihren Vater nicht vergessen: „Papa kommen!“, sagte sie ins Telefon und hielt das Handy zu einem Schneeball, damit ich diesen auch sehen konnte. Leider besitzen wir noch kein Videotelefon, aber Katharina gehört zweifellos der nächsten Generation an.
Nach der Rückkehr zeigte Katharina besonders deutlich, wie gern sie ihren Papa hat. Da meine Hände gelähmt sind und damit meine körperliche Zuneigung zu Katharina nur sehr gering ausfallen kann, ist es hauptsächlich Katharina, die aktiv wird. Bei einem Mittagsschläfchen auf der Couch kam sie herbei und fütterte mich mit Salzstangerl. Dies fiel ihr besonders leicht, da ich mit offenem Mund schlief. Die salzigen Leckereien entrissen mich der Traumwelt, ich öffnete die Augen und blickte direkt in zwei große Kinderaugen über mir. Katharina hatte einen kleinen Stuhl zur Couch geschoben und war dadurch in der Lage, selbst zu mir herauf zu klettern. Sie umarmte mich mit beiden Händen und drückte ihr Gesicht an meines. So liebevoll wird man gerne geweckt.
Doch hinter jedem Engelchen verbirgt sich auch ein Teufelchen, das ich gleich zu Gesicht bekommen sollte. Denn Katharina begann zunächst, mit ihrem rechten Zeigefinger auf meine Augen zu drücken, um nach heftigen Protesten von mir mich auf die Wange zu hauen. Ich konnte diese Eingriffe körperlich nicht abwehren, die verbalen Proteste beeindruckten Katharina nicht, lockten aber zum Glück Judit herbei „Den Papa darf man nicht schlagen!“, sagte sie mit fester, lauter Stimme. Katharina war auch davon nicht beeindruckt und bohrte ihren kleinen Finger auf das Augenlid ihres Vaters. Judit packte Katharina und stellte sie vor die Wohnzimmertüre, die sie schloss. Katharina weinte bitterlich und auch uns war ganz mulmig zumute, da wir bislang solche drastischen Aktionen noch nie gesetzt hatten. Judit erklärte Katharina, dass sie wieder herein zu uns dürfe, wenn sie brav und zu Papa lieb sei, denn dem Papa darf man nicht wehtun. Katharina signalisierte Einsehen, sagte „Ja, Papa lieb sein“ und wurde von Judit wieder auf die Couch gehoben. „Sei lieb zum Papa, umarme ihn, sag ‚Entschuldigung’!“, forderte Judit Katharina auf. Katharina drückte ihre Liebe durch den Zeigefinger aus, den sie wieder in mein Aug bohrte. Schwupp, war sie wieder vor der Tür, weinte bitterlich, um danach scheinbar reuig auf der Couch zu sitzen. „Sag ‚Entschuldigung’!“, forderte Judit Katharina auf. Katharina hatte jedoch das Versprechen, dass sie eine Minute zuvor getätigt hatte, bereits vergessen und zwickte mich schmerzhaft in die Wange. Wieder stellte sie Judit vor die Türe. Wir sahen uns fragend an. Tun wir das Richtige? Zweifellos lotete Katharina ihre Grenzen aus. „Wir müssen da wohl hart bleiben“, sagte Judit, „damit sie weiß, was sie tun darf und was nicht“. Nach der vierten Wiederholung entschuldigte sich Katharina schließlich bei mir. Da es seither keine ähnlichen Vorfälle gab, scheint die erzieherische Maßnahme gewirkt zu haben, auch wenn uns Katharinas bitterliches Weinen tief im Inneren getroffen hatte.
Wie lieb und mitdenkend Katharina auch ist, möchte ich an einem Beispiel zeigen, das sich vor kurzem ereignete. Judit hatte mit Katharina akrobatische Übungen einstudiert: Mama liegt am Rücken, Katharina klettert auf sie drauf, worauf Mama ihre Fußsohlen unter Katharinas Popo schiebt und mit gestreckten Füßen hoch in die Luft hievt. Katharina hält sich zunächst an Mamas Händen fest, um dann freihändig auf den Fußsohlen zu balancieren und in die Hände zu klatschen. Der krönende Abschluss des zirkusreifen Kunststückes erfolgt durch Katharinas Salto über Mamas Kopf hinweg. Das Publikum applaudiert. Oma, Opa klatschen heftig in die Hände während sich Katharina stolz verbeugt. Nur Papa klatscht nicht. Nur Katharina ist dies aufgefallen. Sie läuft zu ihm hin, nimmt seine Hände und klatscht sie zusammen.