Michaela König, eine liebe Freundin von mir, ist gestern verstorben. Ein Nachruf.

Liebe Michaela,

als ich vergangene Woche an deinem Krankenbett saß, fehlten mir die Worte. Inmitten der Maschinen und Schläuche hast du friedlich geschlafen. Dein Beatmungsgerät zischte abwechselnd im Rhythmus mit meiner Beatmungsmaschine. Ich vermisste dein Lachen und deine Gedanken und Fragen. Du hast einmal geschrieben: „Wenn man in der Nacht raus sieht, ist es romantisch und wundervoll, weil man glaubt, man fliegt auf einer Wolke in die weite Nacht hinein.“ An diesen Satz musste ich denken, als ich von deinem Tod erfuhr. Ich stelle mir vor, dass dir Flügel gewachsen sind und du vom Himmel her lachst, wie ich um Worte ringe.

Unsere erste Begegnung bei einer Schreibwerkstatt kommt mir wie gestern vor. Ich habe von dir viel gelernt. Auch musste ich so manches Vorurteil beschämt überdenken. Mit deiner Fantasie, deiner Lebenslust und deinem Mut hast du deine Freunde und dein Umfeld bereichert. Ich habe dich als tolle Schriftstellerin kennengelernt und mich gefragt, ob es auch andere Menschen mit Lernschwierigkeiten gibt, die auch literarische Texte schreiben können. Gemeinsam haben wir so den „Literaturpreis Ohrenschmaus“ gegründet. Bei meinem Geburtstagsfest. Ich wurde 40 und du hast über mich ein Gedicht geschrieben und halb lesend und halb singend vorgetragen. Das war das tollste Geburtstagsgeschenk für mich und der Beginn des Literaturpreises. Dein Vorbild wirkt weiter, inzwischen haben viele Menschen mit Lernschwierigkeiten die Feder ergriffen und geben besondere Blicke auf die Welt.

Zu einer deiner Zukunftskonferenzen war ich auch eingeladen. Du hattest zwei Wünsche, eine eigene Wohnung und eine Arbeit als Schriftstellerin. Du wolltest in einem Verlag arbeiten, ich konnte dir nur ein Praktikum im Parlament anbieten. Die Arbeitsassistentin, die dich unterstützen sollte, klagte lächelnd, dass du die Texte alle ohne ihre Hilfe schreibst, und auch nicht heimgehen möchtest, da dich die Arbeit im Parlament so begeistert. Du hast im Plenum den Politikern beim Reden zugehört, mitgeschrieben und daraus Poesie gemacht. Du warst wirklich eine große Schriftstellerin. Einmal hast du geschrieben, wie wichtig dir Arbeit ist:

Arbeit ist aufregend, Arbeit macht Freude.

Arbeit bringt mir Geld, Arbeit macht mich selbstständig.

Arbeit macht manchmal müde, Arbeit ist lustig.

Arbeit füllt mein Leben aus, Arbeit bringt mir Anerkennung.

Arbeit kann auch kränken.

Menschen ohne Arbeit sind sehr arm und sie tun mir von Herzen leid.

Aus den Erlebnissen rund um das Praktikum ist mir besonders der erste Tag in Erinnerung geblieben: Eine Praktikantin mit Down-Syndrom war für Klub und Parlament zunächst etwas ganz Neues. Es gab eine Diskussion, ob du den Praktikumsvertrag unterschreiben darfst oder ob das der Sachwalter tun muss. Du hast unterschrieben und der Sachwalter wurde informiert. Eine österreichische Lösung 🙂 Danach ging es in die Sicherheitsabteilung, wo der Leiter ein Foto von dir für die Zutrittsberechtigung zum Parlament machte. Anfangs war ihm die Skepsis ins Gesicht geschrieben, doch wie du dich über den Parlamentsausweis gefreut hast, hat auch ihn mitgerissen. Er hat sich mit dir gefreut, dir die Hand geschüttelt und alles Gute für die neue Tätigkeit gewünscht.

Du warst eine mutige Frau. Ich habe dich einmal gefragt, ob ich dich zu einer Sitzung zur „Eugenischen Indikation“ einladen darf. Du bist gekommen und hast dich gegenüber den Ärzten und Juristen ordentlich durchgesetzt. „Menschen mit Down-Syndrom haben ein Recht auf Leben“, hast du gerufen und das wird ihnen wohl heute noch im Gedächtnis geblieben sein. In einem Text von dir heißt es: „So ein Baby mit Down-Syndrom ist ein besonderes Baby, weil so ein Baby Liebe und Geborgenheit ausstrahlt. Was ich mir von einem Baby mit Down-Syndrom wünsche, da wünsche ich mir, dass es trotz seiner Behinderung ein ganz normales und gesundes Leben führen kann wie gesunde Babys. Wenn es mal groß ist, sollte dieses Baby mal eine Persönlichkeit und eine Berühmtheit werden. Genau so wie ich, ich war auch ein Baby mit Down-Syndrom“.

Liebe Michaela, wir vermissen dich. Dein Lachen, dein Optimismus, deine Freude am Leben. Du warst ein besonderer Mensch und eine Vorkämpferin. In Wien warst du das erste Integrationskind. Du hast uns gezeigt, wie man Träume lebt und dadurch die Welt verändert. Du hast die scheinbare Normalität hinterfragt und auch wir sollten das täglich tun. Durch deine Gedichte und Bücher prägst du uns weiter.

Was ist normal!
Text von Michaela König

Ob man eine weiße oder eine schwarze Haut hat, das ist ganz egal. Ob man eine gelbe oder eine rote Haut hat, das ist ganz egal. Hauptsache man ist so wie man ist.

Was ist normal! Ich weiß es nicht.

Ob man 47 Chromosomen oder 46 Chromosomen hat, das ist ganz normal. Hauptsache ist wir mögen uns und sind fröhlich, weil wir auf uns stolz sind.

Was ist normal? Ich weiß es nicht.

Ob man ein Riese ist oder ob man klein gewachsen ist – das spielt keine Rolle. Hauptsache ist wir haben Freunde, die uns in guten wie in schlechten Zeiten beistehen.

Was ist normal? Ich weiß es nicht.

Ob man schmutzige oder saubere Hände hat – das spielt keine Rolle. Hauptsache ist wir haben ein reines Herz.

Was ist normal? Ich weiß es nicht.

Ob man viele Freunde hat oder nur einen, das ist ganz egal. Hauptsache ist wir stehen zu unseren Freunden – egal was kommt.

Was ist Normal? Ich weiß es nicht.

Ob man verzweifelt ist und Hilfe braucht oder ob man mit jemandem reden möchte, das ist ganz egal. Hauptsache, man hat jemanden mit dem man reden kann.

Was ist normal? Ich weiß es nicht.

Ob man einen Rat braucht oder ob man ihn zum Zuhören braucht, das ist ganz egal. Hauptsache ist wir sind immer für einander da.

Was ist normal? Ich weiß es nicht.

Ob man ein leeres Zimmer hat oder ein aufgeräumtes Zimmer, das ist ganz egal. Hauptsache ist unser Zimmer wird immer unser Revier bleiben.

Was ist normal? Ich weiß es nicht.

Ob man schlecht oder gut aussieht, das ist ganz egal. Hauptsache ist du bleibst immer die Schönste.

Was ist normal? Ich weiß es nicht.

Michaela König über sich selbst:

Ich bin die Michaela König, ich bin ein ganz besonderer Mensch. Geboren bin ich in Wien, aufgewachsen bin ich in Algerien. Dort war ich in einer deutschen Schule. Ich habe eine Halbschwester und einen Bruder. Ich verstehe mich sehr gut mit den beiden.

Ich habe sehr viele Lesungen gehalten, zum Beispiel in Bochum, Weimar, Wiesbaden, Brixen, Bonn und München. Ich bin Schriftstellerin und ich male auch sehr viel. Ich habe schon einige Bilder von mir verkauft, mit sehr viel Erfolg. Ich wünsche mir, dass ich das Schreiben und das Malen irgendwann auch hauptberuflich umsetzen kann. Davon träume ich und hoffe, es wird irgendwann in Erfüllung gehen.

Ich habe schon zwei Bücher veröffentlicht. Das eine hat geheißen ‚Traust du mir das zu!‘. Das zweite Buch hat geheißen ‚Wenn ich nicht so wäre, wie ich bin‘. Die sind wirklich sehr gut verkauft worden. Das zweite Buch ist leider schon vergriffen, da es nur eine kleine Auflage gegeben hat. Aber bei meinen nächsten Büchern, die ich noch veröffentlichen werde, wird es eine größere Auflage geben.