Am 26. Oktober hielt ich in München beim Beatmungskongress MAIK folgende Rede:

Mitten im Leben mit langem Atem!
Vom Kampf beatmeter Menschen für Inklusion, Chancengleichheit und Zukunftsperspektiven

Ich möchte mit einem kleinen Liebesgedicht an meine Beatmungsmaschine beginnen:

Die Maschine

Leise schnurrt sie neben mir.
Ich atme, sie heult auf.
Ich atme aus, sie schnurrt friedlich.
Ich spreche, sie heult und zischt.
Ich rede schneller, ihr Heulen überschlägt sich.
Ich schreie, sie schreit schrill piepsend mit.
Ich halte den Atem an. Sie stößt Luft in mich hinein.
Ich beruhige mich.
Leise schnurrt sie vor sich hin.
Sie lebt durch mich und ich lebe durch sie.

Seit 2006 gehören wir zusammen. Anfangs war es für mich sehr beunruhigend, dass mein Leben von einer Maschine abhängt. Heute herrscht Vertrauen. Denn seit sechs Jahren funktioniert die Maschine tagein tagaus, ohne Pause. Sie funktioniert und mein Leben funktioniert. Ich bin geboren, um zu leben. Meine Maschine ist gemacht, um zu funktionieren. Und wenn sie einmal nicht funktioniert, dann wird meine persönliche Assistentin zum Ambubeutel greifen. Sie ist dann die Heldin und ich lebe weiter!

Wie es zur Beatmung kam

Ich gehe nicht freiwillig ins Krankenhaus, nur wenn es wirklich sein muss. Und im Herbst 2006 war es wirklich notwendig. Seit Kindheit an sind meine Beine gelähmt, schleichend stieg meine Lähmung nach oben. Ich atmete sehr oberflächlich, war ständig müde und energielos. Heute klingt es lustig, aber das kam so schleichend, dass ich die Ursache nicht bemerkt hatte. Täglich musste ich ein Mittagsschläfchen einlegen, um den ganzen Tag zu überstehen. Auch im Parlament stand eine Couch in meinem Büro, auf welcher ich mich zwischen den langen Sitzungen kurz ausruhte. Ich hatte ständig eine Bronchitis mit Fieberschüben, musste Antibiotika nehmen und wenn ich auf der Couch lag, musste mich die Assistentin auf den Bauch über ihre Knie liegen und klopfte mir so lange auf den Rücken, bis die Lunge frei vom Schleim war. Die ersten Worte meiner damals einjährigen Tochter waren Hustgeräusche.
Meine Stimme wurde immer leiser, schwächer und unverständlicher. Zu meinem 40. Geburtstag im Juni 2006 konnte ich nicht einmal mehr eine Ansprache halten, wie ich es eigentlich geplant hatte.

Im September 2006 war ich so erschöpft, dass ich mich gleich nach dem Frühstück wieder hinlegen musste. Da war es wohl wirklich Zeit, ins Krankenhaus zu gehen. Die Ärzte nahmen mir Blut ab und waren entsetzt. Ich hatte eine hochgradige CO2-Vergiftung, da ich nicht richtig ausatmen konnte.

Ein Arzt nahm meine Frau zur Seite und meinte: „Will Ihr Mann überhaupt noch leben?“. Judit war über die Frage erstaunt und schockiert. Aber sie sah auch, dass die Ärzte mich nicht kannten, nicht meinen Lebenswillen und meine Lebensstärke. Die Ärzte sahen einen Patienten, der weder Arme noch Beine bewegen kann, der zu schwach zum Sprechen ist und nur mehr schwach atmen kann. Aus dieser ärztlichen Sicht war es verständlich, dass sie eine Patientenverfügung anregten.

Bei dem Gespräch zur Patientenverfügung waren Judit, die Oberärztin und ein Vertrauensarzt von mir anwesend. Ich konnte nicht laut und verständlich sprechen und flüsterte meine Worte in Judit’s Ohr, die mein Sprachrohr war. Es waren drei Wünsche: ich wollte leben, ich wollte zurück zu meiner Familie und wenn möglich wieder arbeiten können. Dazu sollten die Ärzte alle Möglichkeiten ausschöpfen. Was sie auch taten, einen Tag später verlor ich das Bewusstsein und wachte erst drei Wochen später mit einem Beatmungsgerät auf.

Warum können Sie sprechen?

Vor kurzem war ich im Fahrtendienst unterwegs. Der Fahrer fixierte meinen Rollstuhl im Auto und meinte dann: „Herr Huainigg, was ich Sie schon immer fragen wollte, Sie sind doch beatmet, warum können Sie reden?“. Er führt öfters beatmete Menschen, die nicht reden können. Ich sagte ihm: „Man kann reden, auch mit einem Beatmungsgerät, man muss nur die Atemkanüle entcuffen, dem aufgeblasenen Ballon im Hals die Luft herausziehen“. Ich hatte Glück, denn ich wurde im Otto Wagner Spital in Wien nach einer Gesundheitskrise 2006 versorgt und rehabilitiert. Dort wusste man, dass man mit einer ganz normalen Kanüle reden kann, was ich zunächst nicht konnte. Ich musste lernen, mit den Luftströmen umzugehen, brachte zuerst undeutliche Wörter hervor, die durch Training immer besser wurden. Heute weiß ich nicht, ob sich die Maschine an mich angepasst hat oder ich an die Maschine. Wir gehören zusammen. Gemeinsam haben wir schon zahlreiche Parlamentsreden und Vorträge gemeistert. Geben wir beatmeten Menschen die Möglichkeit zu kommunizieren, geben wir ihnen Luft zum Sprechen. Dazu braucht es auch den Mut und das Wissen der Ärzte und der pflegenden Angehörigen. Kommunikation ist Leben!

Zu Hause leben mit Persönlicher Assistenz

Vor 20 Jahren hätte ich das Krankenhaus noch nicht verlassen können, wahrscheinlich wäre ich noch mit einer so genannten Eisernen Lunge beatmet worden. Dank des technischen Fortschrittes gibt es Heimbeatmungsgeräte und ich kann sagen, dass man zu Hause ein Leben mit hoher Qualität führen kann, wenn die Angehörigen gut eingeschult sind und es Unterstützung von Persönlichen AssistentInnen gibt. Bis 2008 waren Pflegetätigkeiten von Persönlichen AssistentInnen in Österreich ein gesetzlicher Graubereich, auch wenn sie von einem Spital gut eingeschult worden sind. 2008 konnten wir in Zusammenarbeit mit der österreichischen Gesellschaft für Pneumologie und gegen massiven Widerstand der Pflegegewerkschaft durchsetzen, dass Pflegefachkräfte Persönliche AssistentInnen einschulen und spezifische Pflegetätigkeiten für den Einzelfall delegieren können. Das brachte Rechtssicherheit für Persönliche AssistentInnen und für die Betroffenen.

Wie sieht mein Alltag aus?

Seit Jahren brauchen wir keinen Wecker mehr. Es läutet an der Wohnungstüre, meine Frau Judit drückt verschlafen den Türöffner. Es ist Punkt 7 Uhr. Mit einem fröhlichen „Guten Morgen!“ kommt Lia zur Tür herein. Seit einem Jahr ist sie Persönliche Assistentin, eine von meinem neunköpfigen Unterstützungsteam. Hinter Lia kommt ein neues Gesicht zur Tür herein. „Das ist Pia, sie wird eingeschult“, stellt sie Lia meiner Frau vor. „Pia und Lia“, scherzt meine Tochter Katharina, die auch von der Glocke aufgewacht ist und sich mit Judit an den Frühstückstisch setzt, wo sie ihre Schüssel mit Müsli füllt. Das Teewasser wird aufgestellt, die Jalousien geöffnet und dann kommen beide Assistentinnen zu mir ans Bett. „Schönen guten Morgen! Gut geschlafen, viel geträumt?“, fragt Lia.

Pia wird seit einer Woche eingeschult, sie studiert Wirtschaft und möchte neben dem Studium etwas Sinnvolles machen. Fast täglich kommt sie mehrere Stunden zu mir, beobachtet das Tun der Assistentinnen und übernimmt nach und nach Tätigkeiten. Während sie mir den morgendlichen Vitamincocktail mit dem Strohhalm reicht, erzählt sie, dass sie von mir geträumt hat. Ich sei aufgestanden und gegangen. Ich verschlucke mich fast vor Lachen. Lia lächelt und meint: „Das haben wir Assistentinnen alle geträumt“.

Dann wird meine Atemkanüle mit einer Salzwasserlösung gespült und mit einem Katheter abgesaugt. Jetzt kann ich wieder freier atmen. Lia und Pia unterhalten sich über die nächsten Schritte im Tagesablauf. Jeder Schritt ist geplant. Für Pia muss es noch Routine werden. Ich kann nicht mitreden, in meiner Atemkanüle ist noch ein kleiner Ballon aufgeblasen, ich bin gecufft, die Luft kommt nicht an meine Stimmbänder. Aber durch Mimik, Gestik und stimmloses Sprechen kann ich mich gut verständlich machen.

Es ist eine Kunst, mein T-Shirt anzuziehen. Es bleibt beim Ellenbogen hängen, scheint zu eng zu sein, aber es gibt Tricks, wo und wie man ziehen und zupfen muss. Kennt man diese Tricks nicht, reißt zuerst das T-Shirt – und dann meine Nerven. Ich bin der Anziehexperte schlechthin, bin ich doch jeden Tag live dabei. Das Morgenprogramm mit Waschen, Anziehen, Durchbewegen der Arme und in den Rollstuhl setzen dauert für mich Stunden, in der realen Zeit ist es nur eine gute Stunde. Leere Pausen? Nein. Ich höre den morgendlichen Nachrichten zu, die im Hintergrund im Radio laufen, geh in Gedanken meine Tagestermine und Vorhaben durch, formuliere Mails und Briefe im Kopf, die ich später schreiben möchte, aber bis dahin meistens schon wieder vergessen habe. Ich liege nicht gerne im Bett, das ist für mich mit Krankheit und Stillstand verbunden. Rollstuhl bedeutet für mich Mobilität, unterwegs sein, leben. Und ich lebe gerne. Wenn ich mich in einem Video oder im Fernsehen sehe, erschrecke ich über mich selbst. Ziemlich behindert wirke ich da. Es ist eigenartig, wie Fremdsicht und Eigensicht auseinanderklaffen.

Wer ein dichter Politiker sein will, der muss richtig dicht sein, in meinem Fall richtig abgedichtet sein. Die Abdichtung des Tracheostomas war lange Zeit ein Problem. Hier war Kreativität gefordert. Wir entwickelten eine spezielle Abdichtung mit Schaumstoff und Wattestäbchen, sodass ich sogar im Parlament wieder ganz normal Reden halten kann. Lia und Pia tüfteln an der Abdichtung, alles soll perfekt sitzen. Dann der große Moment: Die Luft wird mit einer kleinen Spritze aus dem Cuffballon herausgezogen. Stille und angespanntes Warten der Assistentinnen. Kann er wieder reden? Er kann: „Guten Morgen!“

Es ist 8.30 Uhr. Katharina ist längst schon in der Schule, unser Sohn Elias hat auch schon gefrühstückt und ist mit Judit auf dem Weg in den Kindergarten. Jetzt werde ich gefrühstückt. Während Pia mir das dickbestrichene Butterbrot in den Mund steckt, sage ich zu ihr: „Das Anfüttern von Politikern ist strafbar“. Lia bindet mir das Halstuch um und lächelt: „Jetzt bist du bereit für den Tag“.

Mit der U-Bahn fahre ich ins Parlament. In den letzten Jahren hat sich in Richtung Barrierefreiheit einiges getan. Trotzdem muss ich sehr oft auf einen neuen barrierefreien U-Bahn-Zug warten. Oft muss ich acht alte U-Bahn-Züge abwarten. Das kostet sehr viel Zeit. Ich komme gerade richtig zur Abstimmung in den Plenarsaal. Als Zeichen der Zustimmung stehen die Abgeordneten auf, nur einer bleibt sitzen: ich. Dafür hebt Lia meine linke Hand. In der Vergangenheit gab es schon Diskussionen mit persönlichen Assistentinnen, die nachfragten, ob ich meine Hand wirklich heben möchte. Ob ich mir ganz ganz sicher bin, ob ich für die Einführung der Studiengebühren wirklich meine Hand heben möchte. Alle Assistentinnen studieren in den verschiedensten Studienrichtungen. Mit ihrer Unterstützung kann ich ein selbstbestimmtes Leben führen, komme zur Arbeit, diktiere Texte am Computer, die ich aufgrund meiner Behinderung nicht selbst tippen kann, lasse mir Texte vorlesen, denn ich sehe auch schlecht. Seit 2004 gibt es die Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz, ein wichtiges Unterstützungsmodell, damit behinderte Menschen auch mit höherem Pflegeaufwand einer Arbeit nachgehen können. Ein Job bedeutet nicht nur Geld, sondern auch soziale Kontakte und immer wieder neue Herausforderungen.

Inklusion beginnt im Kindergarten und in der Schule:

Inklusion ist wichtig und sie beginnt im Kindergarten und in der Schule. Das gilt natürlich auch für Kinder, die auf ein Beatmungsgerät angewiesen sind. In der Praxis gibt es da immer wieder Probleme und Fragestellungen: Wer darf die Atemkanüle absaugen? Wer kann die Kanüle wechseln, wer trägt die Verantwortung? Braucht es diplomiertes Pflegepersonal? Können das auch persönliche Assistentinnen machen? Oder müssen die Eltern immer dabei sein?…

Hier einige Beispiele (Namen geändert):

Kevin ist 15 Jahre alt und ging bereits vor der Beatmung ins Gymnasium. Seit er beatmet ist, sitzt er zu Hause, schaltet unter der Woche seinen Computer ein und der Unterricht wird über eine Web-Cam in der Schulklasse für ihn mitverfolgbar. Kontakt zu seinen Mitschülern hat er nur sporadisch.

Michael war sechs Jahre alt und damit schulpflichtig. Die Volksschullehrer waren bereit, sich einschulen zu lassen und es funktionierte wunderbar. Sie nahmen Michael sogar auf zwei Schulausflügen mit. Es war vom Aufwand her für sie kein Problem, da die medizinnahen Tätigkeiten nur sporadisch auftraten. Die Lehrer beschreiben es heute als positive Erfahrung und einen großen Gewinn, mit Michael die Schulzeit erleben zu dürfen. Michael ist inzwischen verstorben, aber nicht in der Schule und nicht an einer falschen Pflegeversorgung, sondern an seinem Krankheitsverlauf. Er verbrachte jedenfalls seine letzten Jahre gut integriert und er hatte viele Freunde.

Robin aus Oberösterreich besucht seit zwei Jahren eine Volksschule in Oberösterreich. Es war schwierig für die Eltern, die Betreuung in der Schule vom Land finanziert zu bekommen. Letztlich ermöglichte das Land Oberösterreich, mit großem finanziellen Aufwand, die schulische Integration. An jedem Schultag ist über eine Hilfsorganisation eine diplomierte Pflegekraft beim gesamten Unterricht anwesend.

Forderungen und Anliegen

Kinder mit einer Beatmungsmaschine werden oft nicht in Integrationsklassen aufgenommen, da sich niemand mit dem Gerät auseinandersetzen und letzlich auch niemand die Verantwortung übernehmen möchte.

Persönliche Assistenz soll in Österreich bundesweit einheitlich geregelt werden. Hier gibt es unterschiedliche Finanzierungsregelungen in den Bundesländern. Nur so können beatmete Menschen integriert leben, in der Familie, im Beruf und in der Gesellschaft.

Es sollte möglich sein, dass Rehabilitationszentren auch querschnittgelähmte Patienten mit einem Beatmungsgerät aufnehmen. Das ist in Österreich derzeit nicht der Fall. Warum soll man keine Rehabilitation erhalten, nur weil man beatmet wird? Diese Lebenschancen muss es geben.

Es fehlt an Nachbetreuung, Tageskliniken und vor allem sollte der Übergang vom Spital nach Hause besser unterstützt werden. Hier mutet man pflegenden Angehörigen viel zu und hier wäre Unterstützung sinnvoll.

Kindern erklären, wie man mit einem Beatmungsgerät leben kann.

Als ich 2006 ein Beatmungsgerät bekam, war das ein großer Schock für meine damals vierjährige Tochter. Sie wollte dem Papa vom Krankenhaus so zurückhaben, wie er hineingekommen ist. Ein Krankenhaus heilt Krankheiten. Sie wollte den Papa ohne die „Schläuche im Hals“ haben. Heute akzeptiert sie die Beatmung voll. Um Kindern zu erklären, wie das mit einer Beatmungsmaschine so ist, habe ich ein Bilderbuch geschrieben, das man im Internet auf meiner Homepage lesen kann. Aber heute gibt es dieses E-Book dank Maria Panzer auch in gedruckter Form, Sie finden das Buch in Ihrer Tagungsmappe.