Am 28. November war der Zukunftsforscher und Unternehmensberater, Franz Kühmayer, bei Rosa Lyon zu Gast in der Ö1-Sendung „Im Gespräch“. Thema der Sendung war „Ein Hamsterrad von innen sieht aus wie eine Karriereleiter.“ Als ich die Sendung vor Kurzem hörte, traute ich meinen Ohren nicht. Franz Kühmayer trat für die Anstellung von behinderten Menschen am ersten Arbeitsmarkt ein, während die Ö1-Journalistin ihren Vorurteilen freien Lauf ließ: Menschen mit Behinderungen können keine Leistung erbringen, für sie gäbe es nur den zweiten Arbeitsmarkt (geschützte Werkstätten, Arbeitstherapie und Integrative Betriebe), einem Unternehmen bringt die Anstellung eines behinderten Mitarbeiters keinen wirtschaftlichen Erfolg … ORF-JournalistInnen sollten sich vor solchen Diskussionen besser informieren und nicht eigene Vorurteile weiterverbreiten. Das darf besonders von einer Journalistin des Ö1 Qualitäts-Radios erwartet werden. Während Franz Kühmayer für seine weitsichtigen Überlegungen zu danken ist, wäre zumindest angebracht, wenn Rosa Lyon sich mit der Lebensrealität von Menschen mit Behinderung und deren Möglichkeiten am Arbeitsmarkt besser informieren würde.
Nachfolgend die letzten zehn Minuten der Radio-Sendung, wobei die brisanten Textpassagen farblich markiert worden sind:
Lyon:Es gibt ja Menschen, die gar nicht am Arbeitsmarkt teilnehmen können, weil sie eine Form der Benachteiligung haben. Es gibt den zweiten Arbeitsmarkt, soziale Unternehmen, die den Menschen eine soziale Teilhabe ermöglichen. In Zeiten des Sparens, es werden an den Stellen Förderungen gestrichen, wo der Widerstand gering ist. Und hier ist der Widerstand gering. Diese Menschen haben keine mächtige Lobby hinter sich. Wird im Sinne dieses Wandels die Teilhabe aller am Arbeitsmarkt leichter oder schwerer?
Kühmayer: Mittelfristig wird es leichter werden, denke ich, weil wir nicht weniger Arbeit haben. Es ist eine Illusion zu glauben, dass es in der Zukunft weniger Arbeit geben wird. Wenn man die demografische Entwicklung sieht, wird es eher weniger Arbeitnehmer geben. Besonders wenn wir bei den bestehenden Strukturen bleiben, wo die Leute in Pension gehen und dann nicht mehr arbeiten. Es wird mindestens gleich viel Arbeit geben. Daher wird die Arbeitsaufteilung nicht nur bei den wenigen Jungen, Hochtalentierten hängen bleiben, sondern eine breite Aufteilung stattfinden. Es wird ältere Menschen betreffen, die länger im Erwerbsleben bleiben sollen und Menschen, die Benachteiligungen haben. Wenn wir den Schritt konsequent weiter gehen, geht es nicht um Mildtätigkeit, sondern um die Frage, kann ich durch eine sehr unterschiedliche Belegschaft mehr wirtschaftlichen Nutzen erzielen. Kann ich durch Menschen, die besondere Talente haben und vielleicht auch besondere Herausforderungen haben, die Qualität meiner Leistung und meiner Produkte steigern? Und ich denke, die Antwort ist darauf: Ja! Vielschichtigkeit führt zu Kreativität, zu mehr Innovation und…
Lyon (unterbricht ihn): Aber grad bei Menschen zum Beispiel mit Behinderung, da ist klar, die können nicht zu Gewinnsteigerung führen. Deshalb gibt es diesen zweiten Arbeitsmarkt.
Kühmayer (unterbricht sie): Da widerspreche ich jetzt. Es gibt sehr gute Beispiele, wo um ein Beispiel herauszugreifen Menschen mit Autismus besonders gut geeignet sind in der Qualitätssicherung von Software zu arbeiten.
Lyon: Aber es gibt genug Beispiele dafür, dass es mit sozialen Betrieben, die es in Österreich schon lange gibt, keine Gewinnsteigerung zu erreichen ist. Da ist das Ziel, dass sie an der Gesellschaft teilhaben können. Und da ist nicht das Ziel eine Gewinnsteigerung zu erbringen. Sonst gäbe es ja keinen zweiten Arbeitsmarkt.
Kühmayer: Ja, mag sein. Aber ich bleibe trotzdem relativ fest dabei, dass wir die Frage, welchen wirtschaftlichen Vorteil wir daraus ziehen können, noch nicht gut genug durchdacht haben. Dass wir da erst an den Anfängen stehen. Und zweitens, glaub ich, wenn man volkswirtschaftlich darauf schaut, muss man sehr kritisch die Frage stellen, ob das, was wir derzeit hochbewerten, am Arbeitsmarkt tatsächlich das ist, was uns mittel und langfristig eine bessere Gesellschaft und eine gelungenere Demokratie bringt.
Lyon (kritisch): Hm!
Kühmayer: Es gibt diese sehr bekannte Frage, die auch gegen meine eigene Branche gerichtet ist, deswegen kann ich das auch ganz fair sagen: Wenn man sich fragt, dass von heute auf morgen in einem Land alle Investmentbanker und Unternehmensberater und alle Versicherungsangestellten nicht mehr tätig sind, oder in einem Land alle Lehrer, Sozial-Pfleger und Krankenpfleger von heut auf morgen nicht mehr tätig sind, was würde das Land stärker betreffen oder beeinflussen? Da ist die Antwort recht klar: Wenn man sich aber den Arbeitsmarkt anschaut, wenn man sich Bezahlungsverhältnisse anschaut, wenn man sich auch Anerkennung anschaut, ist es nicht klar.
Lyon: Das ist ein gutes Beispiel. Bei Pflege können sie tun und beraten, so viel sie wollen und können da nicht mehr Profit herausschlagen.
Kühmayer: Genau. Nicht wenn man sich betriebswirtschaftlichen Gewinn ansieht, wenn man sich volkswirtschaftlichen Nutzen anschaut, dann sehr wohl. Das bedeutet aber auch, dass wir Arbeit in der Zukunft anders bewerten müssen. Nämlich auch finanziell anders bewerten werden müssen.
Franz Huainigg
Februar 6, 2014 — 13:52
Sehr geehrter Herr Nationalratsabgeordneter,
zunächst danke für die Erwähnung der Ö1-Sendung, in der ich Perspektiven zur Arbeitswelt diskutieren konnte, in Ihrem Blog. Dazu ein paar Gedanken :
Ich stehe weiterhin fest zu meiner Ansicht, dass Menschen mit besonderen Bedürfnissen am Arbeitsmarkt nicht nur eine Rolle spielen können und sollen, sondern dass gerade im Erkennen und Nutzen eben dieser besonderen Bedürfnisse noch eine weitgehend ungenutzte Chance liegt – und damit Zukunftpotential für Arbeitgeber und Arbeitnehmer.
Ich würde allerdings gerne ergänzen, dass mein Empfinden während des Interviews nicht war, dass Frau Lyon diese Idee (wie von Ihnen im o.a. Blogartikel nahegelegt) aus bestimmten Vorurteilen heraus ablehnt. Ich hatte den Eindruck, es ging eher um die Frage, wie die Gesellschaft Arbeit bewertet bzw. ob an betriebswirtschaftlichem Profit orientierte Erwerbsarbeit tatsächliche der prägende Begriff von Arbeit sein (und bleiben) soll. In der Kürze und Prägnanz des Interview-Formates mag daraus ein Eindruck entstanden sein, der zumindest in meinem Erleben während des Gesprächs nicht intendiert war. Wie auch immer, vielleicht hilft ja ein klärendes Gespräch zwischen Ihnen und Frau Lyon, falls dies nicht ohnehin schon geschehen ist.
In jedem Fall scheint mir diese Frage nach der richtigen Bewertung (und Entlohnung) von Arbeit – eben im weiteren Sinne: Erwerbsarbeit, Familienarbeit, Sozialarbeit, usw. – eine der zentralen Fragen einer zukunftsfähigen und fairen Gesellschaft zu sein. Und zwar nicht nur bezugnehmend auf die Perspektive von Menschen mit Behinderungen, sondern insgesamt für alle Bürgerinnen und Bürger. Dieses Thema hat, auch angesichts der strukturellen Veränderungen von Wirtschaft und Arbeitswelt, eine eminente Bedeutung für die Zukunft und ist somit auch politisch überaus relevant.
Freundliche Grüße
Franz Kühmayer
Franz Huainigg
Februar 18, 2014 — 22:52
Lieber Franz-Joseph Huainigg,
Ich habe soeben bei Facebook deinen Kommentar über Rosa Lyon und Ö1 gelesen.
Da ist in der Tat wieder einmal ein für den ORF und Ö1 unwürdiges Verhalten.
Der ORF wird da in der Tat auch im Bereich von Menschen mit Behinderungen verhaltensauffällig. Gibt es im Sender denn keine journalistische Recherche und Qualität mehr, die früher ja unabdingbar war – ich erinnere da an die Zeit von Franz-Joseph im ORF Kärnten bei Fred Dickermann.
Ich habe den Eindruck gewonnen, dass in den letzten Jahren im ORF die Kompetenz einerseits pensioniert worden andererseits verstorben ist.
Im Bereich der Kultur ist das auch besonders beschämend, was alles in Ö1 auf Sendung gehen darf, wie oberflächlich Themen und Sendungen in der Kultur für Radio und TV vorbereitet, produziert und dann offensichtlich von der Inkompetenz zur Sendung freigegeben wird.
Gerade Du, lieber Franz-Joseph, bist eines der besten Beispiele und Beweise, was möglich ist , wenn die Rahmenbedingungen geschaffen werden.
Ich persönlich bin es jedenfalls leid, überhaupt von Menschen mit Behinderungen oder speziellen Bedürfnissen zu sprechen.
Du, lieber Franz-Joseph, bist so wie Du bist, und fertig! Und habe großen Respekt vor Deinen Leistungen.
Ich arbeite nun dreißig Jahre mit gehörlosen KünstlerInnen am Theater und habe keinen der Kollegen je als behindert gesehen. Im Gegenteil. Und dasselbe trifft auf die Theaterprojekte im Rahmen von „Macht/schule/theater“ mit viersinnigen (gehörlosen) und fünfsinnigen Jugendlichen. Solche Formulierungen wurden vor 100 Jahren beispielsweise vom Wiener Philosophen Wilhelm Jerusalem verwendet und sie treffen wesentlich besser zu als das Wort „behindert“.
In diesem Sinne werde ich den von Dir geschilderten Fall auch bei uns im Kärntner Kulturgremium zur Diskussion bringen.
Ich habe da einige Fälle aus dem Bereich der Kultur und auch der Geschichte, die ich Dir, lieber Franz-Joseph, bei Gelegenheit zur Kenntnis bringen werde.
Herbert Gantschacher