„Was ist das ‚behindert‘?“, fragt Anna. „Das ist zum Beispiel, nicht gehen zu können“, sagt Margit.
Vier erfolgreiche Annette Betz-Bilderbücher zum Thema „Leben mit Behinderung“ – endlich in einem Sammelband vereint. Franz-Jospeh Huainigg erzählt von Margit, die im Rollstuhl sitzt, von Matthias, der nicht sehen kann, von Lisa, die gehörlos ist, und von Kindern in einer Inklusionsklasse, die miteinander und voneinander lernen. Ein von Verena Ballhaus einfühlsam illustriertes Geschichtsbuch, das sich für den Einsatz in der Schule, im Kindergarten und zum (Vor-)Lesen zu Hause wunderbar eignet.
Das sind wir. Und jeder ist anders. Deshalb passen wir auch so gut zusammen.
Sammelband „Gemeinsam sind wir große Klasse“: Erschienen im im Verlag Anette Betz Verlag in der Ueberreuter Verlag GmbH, Berlin 2014, 108 Seiten durchgängig farbig illustriert, ISBN 978-3-219-11607-6, Euro 14,95 (DE), Euro 15,40 (AT)
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Die vier Bücher im Überblick:
Informationen zu „Meine Füße sind der Rollstuhl“
Informationen zu „Wir sprechen mit den Händen“
Informationen zu „Wir verstehen uns blind“
Informationen zu „Gemeinsam sind wir Klasse“
Warum ich diese Geschichten über meine eigenen Erfahrungen geschrieben habe:
Was hat denn der?
Kinder und Erwachsene zum Thema Behinderung ins Gespräch bringen
Auf der Straße, im Restaurant, im Supermarkt. Die Orte sind beliebig austauschbar, die Handlungen nicht:
Plötzlich taucht aus dem quasi „Nichts“ ein Kind auf, hebt seinen Finger und ruft: „Schau mal Mama, der Mann da!“. Die Mutter versucht zunächst das Kind zu ignorieren und beschäftigt sich noch intensiver mit den Käsesorten im Kühlregal. Verdrängungspädagogik zeigt bei Kindern aber nur sehr selten Wirkung.
Kurz darauf das Kind wieder: „Mama schau, was hat’n der da?“. Die Mutter versucht die Aufmerksamkeit des Kindes auf die bunten Joghurtbecher zu lenken. Aber was ist eine grinsende Himbeere gegen ein schweißgebadetes Gesicht eines auf Krücken gehenden Mannes? Ablenkungspädagogik funktioniert auch nicht. Das Kind gibt nicht auf und ruft laut: „Warum geht der Mann so komisch?!“. Die Mutter packt das Kind bei der Hand und zieht es mit den Worten: „Ich erzähle dir zu Hause, was dem Mann passiert ist“ rasch weiter. Da denke ich mir immer: „Keine Ahnung, was die Mutter dem Kind erzählen wird. Wichtig wäre Aufklärungspädagogik.“
Mit Kindern über meine Behinderung ins Gespräch zu kommen war die Motivation für mein Buch „Meine Füße sind der Rollstuhl“. Ich erzählte in Kindergärten und Schulklassen die Geschichte von Margit im Rollstuhl, die das erste Mal alleine einkaufen fährt. Die Kinder hatten immer viele Fragen, warum die Leute komische nachschauen, einmal helfen und einmal nicht helfen oder ob es schwer ist, einen Freund zu finden, wenn man im Rollstuhl sitz. Ich erzählte von Margit und damit natürlich von mir und meinem Leben. Ich versuchte die Kinder zu ermutigen, Fragen, die sie beschäftigen, offen zu stellen. Und auch ich stellte Fragen. Beispielsweise: „Tue ich euch leid?“. Meistens nickten die Kinder. Ein Kind schrieb in einem Bericht über eine Lesung: „Heute war ein Autor im Rollstuhl bei uns. Er tat mir sehr leid. Er hatte eine Brille und hieß Franz“. Darüber musste ich schmunzeln. Es ist wichtig, offen und ehrlich über das Anderssein, die Probleme im Alltag mit einer Behinderung und die Vorurteile zu sprechen. Nur im Gespräch kommt man sich näher. Ich versuchte auch, den Kindern zu vermitteln, dass ein Rollstuhl nichts Negatives darstellt, sondern für mich Freiheit, Mobilität und Teilhabe am Leben bedeutet. Ich erzählte den Kindern, was man mit dem Rollstuhl alles machen kann, vom Schnellfahren bis hin zum Sport. Ab und zu hab ich dabei vielleicht auch etwas übertrieben. Beispielsweise sagte mir ein Mädchen nach der Lesung: „Ich wünsche mir zu Weihnachten auch einen Rollstuhl“.
Im Buch „Wir verstehen uns blind“ erfährt man, wie blinde Menschen leben. Es werden Fragen beantwortet, die ich mir selbst gestellt habe: Kann man mit den Händen Farben fühlen? Schalten blinde Menschen in der Wohnung das Licht an? Wie kann man im Internet surfen und Texte lesen, wenn man nichts sieht?… Das schönste Lob, dass ich zu diesem Buch bekommen habe, stammte von einem blinden Menschen, der sagte: „Meine Lebensrealität ist in dem Buch wirklich sehr gut beschriebe“.
Schon als Kind hat es mich fasziniert, wie gehörlose Menschen mit den Händen sprechen können. Eine Geheimsprache, dachte ich. Jetzt habe ich selbst Freunde, die in ihrer Sprache, der Gebärdensprache sprechen. Zum Glück, können sie auch Lippen ablesen, wodurch sie auch mich verstehen. Wie nimmt jemand die Welt wahr, wenn er nichts hört? Kann man Musik hören? Wie erwacht man in der Früh ohne klingelnden Wecker? Und kann man in Gebärdensprache wirklich alles sagen? „Wir sprechen mit den Händen“ habe ich mit meinen Freunden geschrieben und es eröffnet ihre Welt der Stille.
Ich hatte das Glück, mit nichtbehinderten Kindern gemeinsam in eine Schule zu gehen. Das war für meinen weiteren Lebensweg sicherlich entscheidend und davon haben auch meine nichtbehinderten SchülerInnen profitiert. Inklusion ist aber keine „heile Welt“. Im Buch „Gemeinsam sind wir Klasse“ werden auch Konflikte konkret angesprochen, ebenso wie Lösungsstrategien. Ich habe es oft in inklusiven Klassen gelesen und es war die Basis für spannende Diskussionen. Dabei ist mir ein Erlebnis in Erinnerung, dass mich sehr zu denken gegeben hat: ich fragte in einer Schulklasse, ob es auch behinderte MitschülerInnen gibt. Alle nickten und zeigten auf ein Mädchen, dass zu weinen begann. Sie schluchzte, dass sie „nicht behindert ist“. Der Lehrer schaltete sich ein und meinte: „wissen sie, bei uns ist niemand behindert, wir sind alle gleich“. Darüber habe ich lange nachgedacht. Offensichtlich sahen es die anderen Kinder anders. Und: warum war das Wort „Behinderung“ für das Mädchen so negativ besetzt? Behinderung heißt nicht, dass man nichts kann. Wir sind nicht alle gleich, wir sind alle verschieden und jeder hat seine besonderen Fähigkeiten.
Ich wünsche mit dem Buch spannende Gespräche mit ihrem Kind oder auch in der Kindergartengruppe oder der Schulklasse. Und eines zum Abschluss: nicht auf den Humor vergessen. Über Geschehnisse gemeinsam zu schmunzeln, kann Barrieren in den Köpfen abbauen.