Die Leichtigkeit des Lebens

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Das Weihnachtswunder

Vor zehn Jahren gab es bei uns ein ganz besonderes Weihnachten:

Alle Jahre wieder hatte sich die Familie unter dem Christbaum versammelt. Es war wie immer und doch ganz anders. Mein Schwiegervater Hans Marte brachte es in den persönlichen Worten nach der Weihnachtsgeschichte auf den Punkt: „Dass wir alle hier sind ist ein Weihnachtswunder“. Meine Frau Judit hielt mir die Hand. Wochenlang hatte sie um mein Leben gezittert, als ich im Tiefschlaf im Krankenhaus am Rosenhügel lag und in tiefes Schweigen versank. Täglich hatte sie mich zwei Mal besucht, hatte mit mir geredet, mir vertraute Harry Potter CDs vorgespielt, Briefe vorgelesen, aufmunternde Worte zugeflüstert. Sie schenkte mir Worte, erhielt aber keine Antwort. Und trotzdem drangen ihre Worte in mein Herz vor. So führten wir gemeinsam den Kampf ums Überleben, ich in meinen Träumen, sie am Bett sitzend, und mit beruhigenden Worten streichelnd.

Vier Wochen nach der Entlassung aus dem Krankenhaus, hatten sich meine Schluckkünste wieder etwas verbessert. Ich durfte ein Lammkotelett verspeisen, was mir beim Festessen anlässlich meiner Rückkehr nach Hause streng untersagt war. Allerdings gab es Lammkotelett püriert, eine besondere Delikatesse. Judit gab mir Löffel für Löffel die köstliche Speise. Ohne Judit, so war ich mir sicher, wäre ich nicht mehr auf der Welt. Für sie wollte ich weiterleben und führte einen Kampf gegen die Maschinen, die Bakterien, die Entzündungsherde. Dass wir uns kennen gelernt hatten, mag Zufall, Bestimmung oder Gottesfügung gewesen sein. Am ehesten glaube ich an Letzteres, da ich als Jugendlicher jeden Abend vor dem Einschlafen zu Gott betete: „Bitte lass mich die Frau kennen lernen, die zu mir passt“. Ich lebte im Glauben, dass es auf dieser großen Welt zumindest eine Frau geben muss, die für mich vorbestimmt war. Und wenn es eine war, dann Judit. Denn sie sagt selbst, das sie jetzt endlich weiß, warum sie als Jugendliche beinahe täglich auf den Berg gekraxelt ist. Obgleich diese Talente in der Bewältigung des Alltags sehr nützlich sind, liebe ich Judit nicht deshalb, sondern wegen ihres Humors, ihrer Verständnisfähigkeit, ihres Engagements, ihrer Kinder – und Menschenliebe. Und überhaupt ist Judit der tollste Mensch, den ich mir an meiner Seite vorstellen kann. Als wir uns vor 23 Jahren kennen lernten, war ich zwar behindert, aber es war nicht absehbar wie der Gesundheitsverlauf sein wird. Damals saß ich zwar im Rollstuhl, aber war mit meinem Auto völlig mobil. Heute kann ich weder Autofahren, noch alleine Essen noch Zähneputzen. Auch wenn mich etwas im Gesicht juckt, kann ich mich nicht alleine kratzen, jede Bewegung meines Körpers muss von einer anderen Person ausgeführt werden. Judit nahm diese Verschlechterungen als Selbstverständnis hin, klagte nie und hielt auch in den schlechten Stunden zu mir.

Wir hatten sehr schöne Zeiten, waren auf Reisen quer durch Europa, kochten gemeinsam und erfreuten uns an unserer Tochter Katharina und später an unserem Sohn Elias.

Nach den Lammkoteletts wurden die heiß ersehnten Kekse von meiner Schwiegermutter Marie-Luise serviert. Ich durfte keine Kekse essen, da die Gefahr, dass Brösel in die Lunge kommen, zu groß war. Marie-Luise erzählte vom Zusammenhalt der Familie: „Wir sahen, dass Judit es nicht alleine schaffen würde. Da halfen alle mit, bei jedem Krankenhausbesuch war Judit in Begleitung von Nicole, Boris, Hans oder mir selbst“. Nicole, Judits Schwester, berichtete von einem Erlebnis während ich im Krankenhaus lag: „Ich sah Judit die Rampe rauf kommen. Sie ging ganz langsam, den Kopf tief gesenkt. Da wusste ich, etwas schlimmes ist mit Franz-Joseph geschehen“. Judit war damals völlig fertig. Sie weinte, „der Franz-Joseph will nicht mehr leben“. In der Aufwachphase nach dem Tiefschlaf hatte ich ihr immer zu verstehen gegeben, dass ich hier weg wolle. Dass ich diese Schläuche im Hals ablehne. Dass ich so nicht weiterleben wollte. Judit dachte „jetzt ist alles aus“. Aber das Leben ging weiter und desto mehr ich wach und ich wieder ich selbst wurde, desto mehr erwachte mein Lebenswille. Und jetzt konnte ich wieder sprechen. Worte, die durch das Beatmungsgerät noch sehr gepresst herauskamen aber von Tag zu Tag immer deutlicher und verständlicher wurden. Es waren Worte der Freude und des Glücks Leben zu können – noch dazu in dieser Familie!

In der Nacht ging es gemeinsam in die Mitternachtsmette. Wie jedes Jahr zelebrierte der Pfarrer der Caritasgemeinde, Thomas Kaupeny, und Kardinal Schönborn gemeinsam die Messe. Wir hatten die Lage vorsondiert: es gab beim Eingang zwei Stufen. Dieses Hindernis wurde mit einer ausgeliehenen Rampe überwunden. Da eine Messe sehr lange dauert, benötigte ich auch Strom für die Erwärmung und Befeuchtung meiner Atmung und einen Raum in dem wir uns notfalls zurück ziehen könnten, zum Absaugen von Schleim – falls die Atemkanüle verstopft. Damals war vieles neu, fremd und unsicher. Wir mussten erst langsam wieder im Leben Tritt fassen.

Hanni, ein Mitglied der Caritas Gemeinde, hat uns einen Platz reserviert. Als sie ein Monat zuvor erfuhr, dass ich plötzlich ins Krankenhaus musste und es mir sehr schlecht ging, setzte sie alle Hebel in Bewegung, dass der Pfarrer der Caritasgemeinde davon in Kenntnis gesetzt wurde. Nachts lief sie von einem Caritasheim zum nächsten, um Pfarrer Kaupeny zu finden und erst beim viertem Caritas-Haus hatte sie Glück. Er meldete sich sofort telefonisch bei Judit und stand ihr mit Rat und Tat zur Seite. Tags darauf stand er im Krankenhaus mit der Gitarre an meinem Bett und sang mir Lieder vor. Seine Worte erreichten mich, wühlten mich auf und die Ärzte mussten vom Narkosemittel ein Schäufchen zulegen, damit ich nicht aufwache.

Eine wichtige moralische Unterstützung war auch, dass die Kirchengemeinde bei jeder Sonntagsmesse an mich dachte. So gab es bei der Messe am heiligen Abend großen Applaus, dass ich wieder da war. Vor allem hatte ich mit meinem Kommen ein Versprechen eingelöst. Denn, als ich im Oktober im Otto- Wagner Spital lag, besuchte mich der Kardinal. Er war zufällig im Spital, um ein neues Schlaflabor einzuweihen, als er erfuhr, dass ich stationär aufgenommen war, kam er sofort an mein Bett. Ich konnte damals kaum reden und Judit übersetzte meine schwer verständlichen Worte: „Wir sehen uns bei der Messe am Heiligen Abend wieder“. Judit blickte fragend zur Oberärztin. Diese lächelte und nickte mit dem Kopf: „Das könnte sich ausgehen“. Es ist sich ausgegangen.

 

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