Einer der schönsten Augenblicke des Tages brach an – der Morgen. Ich hielt meine Augen noch geschlossen und lauschte den Geräuschen der mich umgebenden Natur. Die Vögel sangen, Affen sprangen von Ast zu Ast und ließen sich die Avocados zum Frühstück schmecken. Das Gras war mit Tau bedenkt und der Wind spielte leise raschelnd mit den Baumkronen. – Die Nacht hatte ich draußen, im Garten eines Freundes verbracht. Gestern Abend saßen wir unter dem Sternenhimmel auf Matratzen am Lagerfeuer, grillten unser Abendessen und sprachen über die bemerkenswerte Naturverbundenheit der Tansanier. Sowohl Kinder als auch Erwachsene können die meisten Pflanzen, Bäume und auch Tierarten ihres Heimatlandes benennen. Sie wissen wie man die verschiedensten Obst- und Gemüsesorten anbaut, erntet und natürlich auch zum Verzehr zubereitet. Nicht alle sind sich des vollen und frischen Geschmacks der Lebensmittel hier bewusst; sie wünschen sich stattdessen so wie die Menschen des globalen Nordens in Supermärkten verpackte Lebensmittel kaufen zu können.

 

Mein Schlafsack war noch warm und lud zum verweilen ein, aber ich hatte eine Verabredung mit unserem blinden Volontär von der Grundschule in Themi. Nachdem er mir erzählt hatte, er würde regelmäßig im Chor seiner Kirche singen, wollte ich ihn in Aktion erleben. Sogleich war er von der Idee begeistert und wir verabredeten uns für den vergangenen Sonntag. Mir war nicht ganz klar, wie und wo er lebte. In den letzten Wochen hatten mir unterschiedliche Menschen abstruse Geschichten erzählt. Als ich dann zum Tee in sein Haus geladen wurde, stockte mir der Atem. Seine junge, sehbehinderte Frau kochte Ingwertee und sein Bruder kam mit Maniok und Nüssen zur Tür hinein. Mein Arbeitskollege kennt mein bevorzugtes Frühstück in der Schule, welches wir regelmäßig teilen und wollte mir auch in seinem Haus diese Annehmlichkeit bieten. Sein „Haus“ ist ein 5qm großer Raum plus einer 2qm großen Abstellkammer; es ist dunkel und die Steinwände sind mit Rissen übersät. Es gibt eine Holztür und ein mit Holzbalken verschlossenes Fenster. Die Wände sind niedrig und schließen nicht direkt mit dem Wellblechdach ab. Der dadurch entstehende Spalt spendet Licht und lässt den Rauch des kleinen Kohlekochers abziehen. Elektrizität ist nicht vorhanden, die Familie verwendet Kerosin. Eine Wasserquelle gibt es in den umliegenden Höfen. Die Besitztümer der Familie sind wenige Plastikeimer, Kochgeschirr und zertragene Kleider. Ich nahm auf der einzigen Schaumstoffmatratze des Hauses platz. Gefaltet zu einem niedrigen Sofa bietet sie Platz für drei Personen. Mir gegenüber saßen auf winzigen Holzbänken seine Frau, seine kleine Tochter und sein jüngerer Bruder. Sie alle wohnen, schlafen und leben in diesem kleinen Raum. Bis zuletzt hatte ich das Gefühl, er wollte nicht glauben, dass ich ihn besuchen und zur Kirche begleiten würde. Jetzt saßen wir zusammen, aßen und tranken unsere erste Mahlzeit des Tages. – Die monatliche Miete für seine Unterkunft beträgt 45.000tsh; das sind umgerechnet ungefähr 20 Euro. Wie er das Geld aufbringt, weiß ich nicht. Von der Schule wird er nicht bezahlt, obgleich er zu 95 Prozent die Übersetzungs- und Schreibarbeiten der anderen Lehrerinnen erledigt. Jeden Morgen begibt er sich zu Fuß durch die halbe Stadt, um seiner Aufgabe in der Schule nachzukommen. Vermehrt habe ich versucht mit der Bildungsministerin der „Special Needs Education“ über seine Situation zu sprechen. Sie wich mir entweder aus oder versuchte mich dazu zu bewegen seine Sponsorin zu werden bzw. eine andere Person ausfindig zu machen, die diese Aufgabe übernehmen könnte. Sie selber, versicherte sie mir, könne an seiner Situation nichts ändern, da ihm der Schulabschluss fehle. 

 

Den restlichen Vormittag verbrachten wir in einer nahegelegenen, aus Wellblechplatten zusammengebauten Hütte, die den Menschen des Dorfes als anglikanische Kirche dient. Das Innere ist spärlich dekoriert und mit wenigen Plastiksesseln ausgestattet. Ich wurde herzlich willkommen geheißen; bekam einen Sitzplatz in der ersten Reihe und eine Übersetzerin an meine Seite gestellt. Mein Arbeitskollege sang mit großer Leidenschaft und übernahm oft die leadstimme. Ich war glücklich zu sehen, dass er in der Mitte seiner Gemeinde akzeptiert zu sein schien.

 

Das Erlebte beschäftigte mich noch lange nachdem ich bereits wieder zuhause war. Im Gespräch mit einem befreundeten Tansanier meinte dieser nur kurz und knapp dazu: „maisha vijijini“. Er wollte mir damit sagen, dass das Leben in den Dörfern von Tansania so ist.

 

FOTO: Skyline von Dar es Salaam