„Sei artig, ansonsten frisst dich der mzungu!“

 An einem Abend in der vergangenen Woche erzählte mir meine Gastmutter eine lustige Anekdote. In Afrika mahnen die Mütter ihre Kinder mit den Worten: „Seit artig, ansonsten frisst euch der mzungu. – Mzungu bedeutet in Kisuaheli: Weiße/r oder Europäer/in. Das erinnerte mich sofort an ein Spiel aus meiner Jugend, „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann“. Wir lachten beide herzlich darüber und waren erstaunt, dass wir in unserer Kindheit jeweils Angst vor dem Anderen hatten.

 Die Tanzanian Society For The Blind, kurz TSB, ist eine Non-Profit-Organisation, die sich seit 1959 für sehbehinderte und blinde Menschen in Tansania einsetzt. Ungeachtet von Herkunft, Hautfarbe, Alter und Glauben engagieren sie sich für die Rechte sehbehinderter und blinder Menschen in Tansania. Sie widmen sich der Verbesserung der Lebensqualität, sie sorgen für Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten, für medizinische Untersuchungen, bieten Rehabilitationsservice an und führen Sensibilisierungskampagnen durch.

Drei, der vier Lehrer meiner Schulklasse arbeiten nebenher für diese Organisation, als sogenannte: Itinerant Teacher. An zwei Tagen der Woche besuchen sie abwechselnd verschiedene Schulen in der Umgebung von Arusha. Ihr Ziel ist es, Kinder mit Sehbeeinträchtigungen ausfindig zu machen, um ihnen dann eine medizinische Untersuchung samt Aufklärung der Verwandten anzubieten. Die Kosten für den Transport nach Moshi, die Untersuchung und die eventuell weiterführende medizinische Versorgung übernimmt TSB. 

In der vergangenen Woche konnte ich eine der Lehrerinnen nach Moshi ins Kilimanjaro Christian Medical Center (KCMC) begleiten. Ein 11 jähriges Mädchen brauchte dringend augenmedizinische Hilfe. Sie war bereits auf einem Auge blind und das Zweite wurde zusehend schlechter. In der Schule benutzte sie eine Brille. Ebenso Mara (der Name wurde von mir geändert), eine Schülerin aus meiner Klasse. Sie ist fünf Jahre alt und hat seit ihre Geburt keine Augen. Seit zwei Wochen arbeite ich mit ihr zusammen. Sie ist ein schüchternes aber aufgewecktes Mädchen, ist gerne draußen und lacht viel. Um manche Dinge zu erlernen braucht sie mehr Zeit als ihre MitschülerInnen, weshalb eine der Pädagoginnen zu der Annahme kam, dass sie neben ihrer Blindheit auch ein Kind mit Lernschwierigkeiten sei. Daraufhin fragte ich sie, welche medizinischen Belege sie dafür hätte. Es stellte sich heraus, dass Mara bisher noch von keinem Arzt dahingehend untersucht worden ist. Ich schlug vor, dieses schnellstmöglich nachzuholen. Am Donnerstag um 6:45h startete unsere Reise. Wir waren zu fünft; die Lehrerin, die beiden Mütter mit ihren Kindern und ich. Wir trafen uns am überfüllten Busbahnhof in Arusha und quetschten uns in den Bus. Nach 2 Stunden Fahrt erreichten wir Moshi und setzten uns direkt in einen der vielen Dala Dala um weiter ins KCMC zu gelangen. Das große Krankenhaus ist medizinische Anlaufstelle für über 11 Millionen Menschen in Nordtansania. Auf dem Gelände befindet sich zusätzlich eine Universität. Wir hatten glücklicherweise Termine für beide Kinder vereinbart und konnten sofort zu den ÄrztInnen vor. Ich durfte bei den Untersuchungen anwesend sein. 

Das Behandlungszimmer war groß und einfach eingerichtet. Drei ÄrztInnen arbeiten jeweils getrennt voneinander in den Ecken des Raumes. Der Boden war schmutzig, der Putz fiel von den Wänden und die Geräte sahen in die Jahre gekommen aus. Ungefähr ein Drittel der DoktorInnen und KrankenpflegerInnen trugen einen Kittel. 

Zuerst wurde die Sehkraft des 11 jährige Mädchens untersucht. Sie trägt bereits eine Brille, ihre visuelle Beeinträchtigung schreitet jedoch weiter voran, was die ÄrztInnen zu der Annahme kommen ließ, dass sie unter Low Vision leidet. Näheres wird sich aber erst in drei Monaten herausstellen, wenn sich der Effekt der verordneten Medikamente erkennen lässt. Mara hingegen wurde zu einem kleinen medizinischen Phänomen. Leuchtete der Arzt direkt in ihre Augenhöhlen wurden zwei kleine, unterentwickelte Augäpfel sichtbar. Außerdem sprach sie auf äußere Lichtreize an. Das bedeutet, dass sie erkennen kann wann Tag und Nacht ist. Was in ihrer Situation eine tolle Verbesserung der Lebensqualität ist. Ich war überglücklich und war mir nun auch sicher zu wissen, warum sie sich so gerne draußen aufhielt. Der Arzt machte Fotos von ihr und wir bekamen einen neuen Termin am kommenden Montag, um noch einen weiteren Spezialisten zu treffen; auch im Hinblick auf ihre eventuelle Lernschwierigkeit. Die Heimreise verlief ohne Probleme.