Jaribio. In der Schule ging es vergangene Woche hektisch zu. Die Vorbereitungen für den Abschlusstest der 2. und 3. Klasse am Donnerstag und Freitag waren in vollem Gange. Das Schuljahr endet mit dem 06. Dezember. Im Januar beginnt das Neue. Die Lehrerinnen und unser Volontär der Klasse hatten alle Hände voll zu tun sämtliche Tests in Brailleschrift zu übersetzen. Ich half wo ich konnte und gestaltete den Unterricht weitgehend alleine. Insbesondere dadurch, da die Examensvorbereitungen durch die LehrerInnen während der Unterrichtszeit stattfanden.
Dieser Tage bin ich ebenso vermehrt an meine Grenzen gestoßen. Mara, die Schülerin, die ich hauptsächlich betreue, entwickelt sich wunderbar und wir haben begonnen ihr die ersten Buchstaben der Brailleschrift zu lehren – anfänglich die Vokale a, e, i, o, u. Obgleich ich von der hauptverantwortlichen Lehrerin täglich unterstützt werde, merke ich wie mir die sprachliche Barriere den Mund zuschnürt. Die Erklärungen der Lehrerin reichen oft nicht komplett aus und ich habe vermehrt das Gefühl Mara nickt zur Verständnisbestätigung, weil sie die Ungeduld in der Stimme der Lehrerin hört. Sind wir beide uns selbst überlassen, verliert sie jedoch nie den Spaß und zeigt mir immer wieder, dass sie lernen möchte. In dieser Woche habe ich mich jedoch wiederholt gefragt, wie meine Verben- und Substantiv-Aneinanderreihungen im Kisuaheli in ihrem Kopf ankommen. Es macht mich traurig ihr keine bessere Hilfe zu sein, vor allem da ich merke, dass ihr das Schreiben Schwierigkeiten bereitet. Erfolgreicher sind wir bisher mit dem weißen Langstock. Die Schule hat eine kleine Auswahl an verschiedenen Langstock-Größen, die hauptsächlich aus internationaler Unterstützung stammen. Eine individuelle Anpassung an die Körpergröße kann nicht gewährleistet werden. Seit wenigen Tagen ist die Orientierungshilfe ihr stetiger Begleiter, zumindest während der Schulzeit. Die Eingewöhnungsphase, an das Gewicht des Stockes und die typische Pendelbewegung zum Abtasten der Bodenbeschaffenheit, war erstaunlich kurz. Bereits nach wenigen Übungsmetern erfasste sie die Hilfestellung und kann mittlerweile die meisten Hindernisse und Gefahren alleine erkennen und überwinden. Einleitend habe ich verschiedene Wege mit immer wieder neuen Herausforderungen herausgesucht, inzwischen üben wir gezielt Gänge wie den zur Toilette. Immer wieder sagte ich ihr, dass sie ihren Langstock „nicht aus den Augen“ lassen soll. Jetzt kann ich sie beobachten wie sie im Verlauf des Unterrichts regelmäßig nach seinem Verbleib tastet.
Zusätzlich gab es einen Grund zum Feiern. Wir feierten den Geburtstag der hautpverantwortlichen Lehrerin meiner Klasse. Sie wurde während des Unterrichts mit einer cremig-süßen Torte, in Form eines Herzes überrascht. Nach dem Gesang schnitt sie den Kuchen in wahllos kleine Stücke und spießte sie mit Zahnstochern auf. Das „Geburtstagskind“ fütterte dann jeden Einzelnen im Raum mit einem vorbereiteten Kuchenstück. Dabei wurden Fotos geschossen und viele Glückwünsche ausgesprochen. Weitere Schulkinder wurden in den Klassenraum gerufen und auch sie wurden von ihr zur Feier des Tages mit Kuchen gefüttert. Später erklärte sie mir, dass durch diese Tradition und Geste, die Freude über den besonderen Tag und wohl auch über das Glück einer Torte, die sich nicht viele leisten können, geteilt werden soll.
Als ich die Frauen vertieft in ihr Tun beobachtete, kam ich nicht umhin zu denken, wie erstaunlich die Frauen dieses Landes sind. Am Morgen sind sie die Ersten, die aufstehen und am Abend die Letzten, die zu Bett gehen. Sie bereiten das Frühstück, machen den Abwasch, die Wäsche und schicken die Kinder zur Schule. Danach begeben sie sich selbst zur Arbeit; als Tankwärterin, Polizistin, Lehrerin, Schneiderin, Köchin etc. – am häufigsten arbeiten sie im landwirtschaftlichen Sektor. Obgleich es ihnen nach tansanischem Gesetzt nicht erlaubt ist Land zu besitzen! Für viele von ihnen ist eine Familie und ein sicheres Heim der einzige Wunschtraum und das Wichtigste im Leben. Sie bekommen früh Kinder, wechseln den Ehemann, wenn er nicht in der Lage ist für sie zu sorgen. In der Gesellschaft werden sie unterstützt. Bei gleicher Qualifikation bekommt die Frau den Job. Sie sind die Einzigen, die darum bitten können günstiger oder gar kostenlos mit den öffentlichen Transportmitteln zu fahren. Das ist der Weg der Männer, ihnen für ihre harte Arbeit zu danken. Trotz allem werden sie von der Schule oder dem College unwiderruflich herausgestrichen, sollten sie während ihrer Schul- oder Studienzeit schwanger werden. – Regelmäßig ist mir in den Wochen meines bisherigen Aufenthalts aufgefallen, dass einige Lehrerinnen während des Unterrichts schliefen. Im Gespräch mit einer meiner Kolleginnen antwortete sie darauf kurz und knapp: Du weißt nicht, was sie heute schon alles geleistet hat!
Die Möglichkeiten für Frauen sich am politischen und ökonomischen Leben zu beteiligen sind gering. Viele ziehen daher die Sicherheit von Haus und Ehe vor. Behinderte Frauen beenden oft nach der Grundschule ihre Ausbildung. Fehlende Ausbildungsmöglichkeiten und unzureichendes Bewusstsein und Wissen über Chancen für behinderte Menschen führen dazu, dass sie entweder innerhalb kurzer Zeit Kinder bekommen, zuhause in der Familie in Armut leben oder um Almosen bitten müssen. Nur wenige von ihnen sind in der Lage einen eigenen kleinen Verkaufsstand an der Straße aufzubauen.
Vor nicht all zu langer Zeit wurde ich Zeugin einer anmutigen Szene. Eine Frau stieg aus dem Dala Dala. Zuerst band sie sich mit einem Tuch den Säugling auf den Rücken. Dann reichte ihr der Bus-Conducter den Korb mit Lebensmitteln und anderen Waren; sie hebt ihn auf den Kopf und balanciert ihren Körper mit dem ersten Schritt ins Gleichgewicht. In die linke Hand nimmt sie einen Plastikeimer und an der Rechten führt sie das zweite Kind. Rhythmisch gehend begibt sie sich so nach Hause oder zur Arbeit.