Mit dem Fortschritt in der Präimplantationsdiagnostik werden Dinge im Bereich der Entstehung menschlichen Lebens möglich, von denen man viele nicht wollen kann – Ein Plädoyer für Vorsicht und Augenmaß in der anstehenden Richtungsentscheidung in Österreich
Im Kommentar „Gendefekte: Implantieren, dann abtreiben“ (DER STANDARD, 17. Juli) spricht sich Gabriele Wadlig für die generelle Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) zur Optimierung der In-vitro-Fertilisation (IVF) aus. Durch das Scannen der Gene werde die Baby-Take-Home-Rate erhört: weniger Behinderung, mehr Perfektion und Mutterglück.
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Aber ich frage mich, ist ein bisschen PID möglich? Manche Wissenschafter, Ethiker und Behindertenvertreter in Österreich warnen vor einer Einführung der PID und nicht nur aus scheinmoralischen Motiven, wie es Wadlig unterstellt. Diese Warnung scheint sich in Deutschland schon zu bewahrheiten. Der Deutsche Bundestag stimmte am 7. Juli 2011 mit knapper Mehrheit für einen Gesetzesentwurf, der zwar ein generelles Verbot der PID vorsieht, aber sie zulässt, wenn eine schwerwiegende Erbkrankheit beim Kind, eine Tot- oder Fehlgeburt wahrscheinlich ist.
Aber schon jetzt, noch ehe diese Regelung in der Praxis umgesetzt worden ist, meinen deutsche Experten, dass diese Ausnahmeregelung unhaltbar sei. Die derzeitige Schwangerschaft auf Probe wäre angesichts der medizinischen Entwicklung nicht mehr zumutbar. Es wird gefordert, die PID generell zur Perfektionierung der IVF anzuwenden, um die Geburtenquote zu optimieren. Ist es überhaupt ethisch vertretbar, sie Paaren mit Kinderwunsch vorzuenthalten, wenn die Technik doch bereitsteht, fragt man.
Baby als „Qualitätsprodukt“
Die Wochenzeitung Die Zeit beschreibt in ihrer letzten Ausgabe, dass die Reproduktionsmedizin die Herrschaft über die menschliche Natur übernommen hat. Die In-vitro-Fertilisation wird durch die PID bald so perfektioniert sein, dass sie Eltern das Kind als „umfassend kontrolliertes Qualitätsprodukt“ anbieten kann.
Schon jetzt bietet eine Babywunsch-Klinik in München „Social Freezing“ mit großem Erfolg an. 3000 Euro kostet das Einfrieren der Eizellen (plus der monatlichen Betriebskosten). Aufgetaut und befruchtet werden die Eizellen jederzeit nach Bedarf, ohne jegliche biologischen Grenzen. Der neue Mainstream heißt massentaugliche Präimplantationsdiagnostik. Natürlich ist nur vom Einfrieren der Eizellen die Rede (und nicht der Spermien). Und ganz selbstverständlich wird nur von der weiblichen Sterilisation ausgegangen. Da müssten in der Frauenbewegung alle Alarmglocken schrillen. Erinnert sich jemand noch an die Pille für den Mann? Davon ist keine Rede mehr.
„Fortpflanzung ohne Sex“
Ende der 1990er-Jahre wagte der Erfinder der Babypille, Carl Djerassi, einen Blick in die Zukunft: So wie die Pille Geschlechtsverkehr von Fortpflanzung trenne, werde es die Medizin ermöglichen, Fortpflanzung vom Geschlechtsakt zu trennen. In jungen Jahren würden Menschen ihre Keimzellen einfrieren lassen – zwecks späterer Zeugung im Labor. Anschließend würden sie sich sterilisieren lassen: Verhütung wäre nicht mehr nötig. Diese Fiktion ist jetzt, durch die PID und neuen medizinischen „Fortschritten“, in greifbare Nähe gerückt.
Am amerikanischen Institute of Reproductive Sciences gelang kürzlich ein in der Medizin hochgefeierter Durchbruch. Mit Connor Levy kam erstmals ein Kind zur Welt, dessen Erbanlagen schon im Reagenzglas vollständig entschlüsselt waren. Die Forscher schwärmten davon, die menschliche Fortpflanzung optimiert zu haben. Schon jetzt geben die Mediziner an, perfekter, effizienter, sicherer und zuverlässiger als die Natur zu sein. 70 Prozent der Patientinnen werden gleich beim ersten Versuch schwanger, fast dreimal so viele wie bei einer natürlichen Zeugung.
Weil Eltern immer älter werden, versuchen Ärzte schon seit langem durch IVF, deren Erfolgsaussichten zu verbessern. Schon jetzt leben fünf Millionen künstlich gezeugte Menschen auf der Welt. Aber nur vermögenden Menschen steht die neue Welt der medizinischen Möglichkeiten und die Erfüllung des Wunsches nach einem perfekten Kind offen.
Die Einschränkung bei Frauen durch die Biologie scheinen durch IVF und PID aufhebbar zu sein. Aber mit welchen Folgen? Wie leben Menschen, auf die von der Zeugung an der Druck des Perfektionsanspruchs lastet? Wie geht es einem dreijährigen Kind mit einer 80-jährigen Mutter? Wird natürliche Zeugung bald als unverantwortliches Risiko angesehen sein?
Das nächste Parlament wird sich den ethischen Fragestellungen rund um die Präimplantationsdiagnostik, wie sie auch von der Bioethikkommission empfohlen wird, stellen müssen. Dabei geht es um eine grundsätzliche gesellschaftspolitische Richtungsentscheidung. Nicht alles, was technisch machbar ist, sollte auch durchgeführt werden. Im Sinne der Freiheit, der Würde und der Gleichberechtigung. Ein bisschen PID ist scheinbar nicht möglich.
Ich gebe Wadlig recht, wenn sie meint, dass ein unhaltbarer Wertungswiderspruch zwischen restriktivem Fortpflanzungsmedizingesetz und liberalem Schwangerschaftsabbruchsrecht besteht. Die Eugenische Indikation aber kann keine Rechtfertigung für die PID-Einführung sein, sondern muss als Ausnahme zur Fristenregelung gesetzlich geändert werden. (Franz Huainigg, DER STANDARD, 23.7.2013)