27.10: Draußen ist es inzwischen kalt geworden, der Winter grüßt mit zarten Flocken, die durch die Luft wirbeln. Zeit, sich an warme Sommertage zurück zu erinnern. Mitte Juli fuhren wir in den Urlaub nach Rovinje in Kroatien. Um der Hitze im Auto zu entgehen, standen wir bereits um drei Uhr morgens auf, um los zu starten. Katharina war sofort hellwach und rief im Bett sitzend: „Gell Papa, jetzt fahren wir in den Urlaub!“ Sie packte ihre Puppe und den kleinen Koffer und marschierte ins Auto. Bis wir wirklich wegkamen, verging jedoch einige Zeit, da alles im Auto verstaut werden musste und der Papa mit vollem Bauch und frisch katheterisiert ins Auto zu setzen war. Gott sei Dank half uns die Assistentin Nina, welche uns in den Urlaub begleitete, sonst wären wir wohl erst heute startklar. Was alles so benötigt wird, wenn die Familie auf Reisen geht! Die ganze Fahrt war Katharina hellwach, sie hörte Kinderlieder, die sie und uns kindlich fröhlich stimmten. Immer wieder fragte Katharina, ob wir schon da seien. Nein, erst in der Steiermark…nein, das ist die Raststation…nein, erst in Slowenien …nein, erst bei der Tankstelle…nein, erst in Kroatien…Katharina konnte es kaum erwarten, endlich Rovinje und das Meer zu sehen. Als wir endlich da waren, ging es gleich Richtung Meer: Katharina freute sich über den Sand, das salzige Wasser und ihre Freunde Niklas und Lea wieder zu treffen. Wir hatten sehr schöne Tage miteinander. Unser Freund Bernhard ließ sich für die Kinder immer etwas Neues einfallen: Eine Sandburg, eine Bootsfahrt, eine abenteuerliche Schatzsuche, eine selbst montierte Schaukel. Zunächst durfte Lea die Schaukel ausprobieren, was sie lange und ausgiebig tat. Katharina wurde immer nervöser, doch Leas Begeisterung schien grenzenlos. Doch Bernhard hatte eine Idee, er zupfte drei Blätter vom Baum und gab sie seiner Frau Bernadette. Das sind die Tickets für das Schaukeln. Die müsst ihr erst lösen. Danach war alles ganz einfach: Katharina holte sich ein Ticket, stellte sich an und kam bald an die Reihe. Während sie schaukelte, holte sich Lea ihr Ticket. Bernhard riss immer ein Stück vom Blatt ab. Alles hatte seine Ordnung, wie im Würstel-Prater.
Im Zimmer hatten wir drei Betten zusammengerückt, so dass wir ein tolles Familienbett hatten. Katharina schlief in der Mitte. Doch würde sie überhaupt schlafen? So ganz ohne Schnuller? Die hatten wir nämlich zu Hause gelassen. Denn Kindergarten-Kinder haben im Urlaub keinen Schnuller, erklärte Judit. Diese Aufklärungskampagne begann sie bereits Wochen vor dem Urlaub, so dass Katharina diese Urlaubs-Überraschung nicht ganz aus heiterem Himmel traf. Allerdings muss man hier anführen, wie Katharina sonst einschläft: einen Schnuller im Mund plus in jeder Hand mindestens noch einen weiteren Schnuller. In der Nacht geht es oft klipp klapp, ein Schnuller wird aus dem Mund gezogen und ein anderer hineingesteckt. Gehen im Schlaf trotzdem alle Schnuller im Bett verloren, gibt es ein mordsmäßiges Jammern. Ein Einschlafen ohne Schnuller schien bislang schier unmöglich. Wir waren gespannt, ob Katharina jetzt im Urlaub umgewöhnt werden konnte. Wir stellten uns auf ein großes Wein-Konzert ein. Doch es blieb aus. Katharina trank nur aus ihrer Flasche ein Wasser und schlief danach ein. Sie fragte nur einmal, wo denn der Schnuller sei. „Katharina, Urlaubskindergartenkinder brauchen doch keinen…“ und schon drehte sie sich auf die Seite und schlief wieder weiter. Während des ganzen Urlaubs brauchte Katharina zum Einschlafen keinen Schnuller. Der Notfall-Schnuller, den wir natürlich eingepackt hatten, blieb im Koffer versteckt. Wir waren überzeugt. Jetzt haben wir es geschafft, Katharina den Schnuller sehr sanft abzugewöhnen, wo uns doch Judits Cousine Simone, eine Zahnassistentin schon seit Wochen in den Ohren liegt, wie schädlich der Schnuller für das Gebiss sei.
Die Tage in Kroatien vergingen sehr schnell. Am letzten Abend entschlossen wir uns noch, eine Runde am Meer entlang rund um die Insel zu fahren. Katharina war schon sehr müde und setzte sich vorne auf die Fußpedale. Sie bekam von der einstündigen Reise nicht viel mit, da sie zwischen meinen Beinen selig einschlief. Am nächsten Morgen war Katharina wieder ganz aufgeregt: Sie zog ihre weißen Socken an und die Lackschuhe, denn nun ging es weiter zu Oma Sissi und Opa Franz. Wir hatten allerdings vor, erst am Abend weg zu fahren um dem Verkehr zu entgehen. So marschierten wir mit Badehosen, Handtüchern und Schwimmflügeln zum Meer. Doch Katharina protestierte heftig: sie wollte jetzt fahren, auf der Stelle „zu Oma Sissi“! Mit unseren Überredungskünsten scheiterten wir und fuhren noch vormittags weiter nach Kärnten. Eine lange, heiße Autofahrt war die Folge – aber Katharina war glücklich und trällerte Kinderlieder.
In Kärnten gab ein großes Hallo. Opa und Oma freuten sich, ihre Enkelin wieder zu sehen. Katharina beherrschte bald die ganze Szene: Sie fütterte mit Opa Franz die Schwäne, mischte in der Früh Opas Müsli und goss mit Opa Franz die Blumen. Gleich am ersten Abend hüpfte Opa, Oma, Judit und Katharina mit einem Seil. Eine richtige Kärntner Gaudi!
Begeistert war Katharina von ihrem neuen Cousin Sergiolino. Sie streichelte das Baby, hopperte es und gab ihm zu essen. Die beiden verstanden sich auf Anhieb. Auch ihre andere Cousine Anna kam vorbei und Sarah, die Schwester von Sergiolino. Gemeinsam wurde gelacht, gemalt, geschwommen und vom Gespenst (Judit in Bettlaken verhüllt) vertrieben. Zweimal besuchten wir mit Oma Sissi Katharinas Urgroßmutter im Altersheim. „Pipi-Oma, schau wer da ist! Der Franzi! Aus Wien!“, sagte meine Mutter mit lauter Stimme. Für mich und meinen Bruder war es die Pipi-Oma, weil sie früher Hühner – eben Pipis – hatte. Seit vielen, vielen Jahren hat sie keine Hühner mehr, aber auch meine Schwester, welche die Hühner nie kennen gelernt hatte, nennt sie „Pipi-Oma“. Seit drei Jahren ist Pipi-Oma im Altersheim, weil es zu Hause nicht mehr ging. Ihre vier Kinder waren mit der pflegerischen Aufgabe überfordert. Die Pipi-Oma musste ins Altersheim. Dort war sie sehr unglücklich, vermisste sie jedoch ihren Gemüsegarten, den Bach vor dem Haus und die Katze. Von Monat zu Monat verweigerte sie zunehmend die Realität, sie wurde dement. Oft erkennt sie ihre Besucher nicht und man hat den Eindruck, dass sie sehr in der Vergangenheit lebt. Sie nickte, wie sie mich sah und in ihrem Gesichtsausdruck leuchteten Erinnerungen auf, kurz. Begeistert war sie allerdings von Katharina. Als Pipi-Oma sie sah, richtete sie sich auf, ihre Augen begannen zu strahlen: „Mein Gott, was für ein liebes Dirndl!“ Katharina bemühte sich sehr um Pipi-Oma: Sie streichelte ihr Hände, gab ihr einen Kuss auf die Wange und sang ihr während eines gemeinsamen Spazierganges alle Kinderlieder vor, die sie kannte. Im Altersheim gab es auch eine kleine Kapelle, dort rollten wir die Pipi-Oma im Rollstuhl auch hinein. Wir beteten gemeinsam ein Vater unser, dass Katharina bereits ohne Hilfe beten konnte, danach sang Katharina, „Halleluja, Gott hat uns lieb!“ wie sie es am Sonntag in der Kirche mit Tomas Kaupeny singt. Judit hatte beim zweiten Besuch alte Acht-Millimeter Filme mitgebracht. Mit viel Kreativität gelang es, das Zimmer zu verdunkeln. Aber, für die Filmvorführung war es noch immer zu hell. Judit hatte eine neue Idee: Sie baute den Kühlschrank aus dem Kasten aus und ließ den Film im neu geschaffenen schwarzen Loch abspielen. Pipi-Oma freute sich sichtlich, ihre Kinder, ihre Enkelkinder sich selbst und ihren Mann, den Pipi-Opa zu sehen. Schließlich hieß es, Abschied nehmen. Wir verabschiedeten uns herzlich und winkten noch lange über den Gang hinweg der Pipi-Oma zu. Im Aufzug fragte Katharina: „Warum muss denn die Pipi-Oma da bleiben?“ Wir mussten alle schlucken.
Schließlich war der Urlaub vorbei. Wir kommen zu Hause an, Judit beginnt mit dem Auspacken, um den Rollstuhl vom Kofferraum herauszuholen und Katharina betritt die Wohnung. Ihre erste Frage: „Mama, wo sind meine Schnuller?“ Ja es ist richtig, Judit muss wohl ihre Worte halten. Der Urlaub ist vorbei, Katharina folglich kein Urlaubskindergartenkind mehr, und anstandslos erhält sie ihre Schnuller wieder. Aber es gibt eine neue Regel, ab jetzt ist Katharina für ihre Schnuller allein verantwortlich und es gibt einen solchen nur noch zum Schlafen. Tatsächlich schlief Katharina nach dem Urlaub wieder mit einem Schnuller. Aber sie hatte gelernt, dass sie diesen nicht unbedingt benötigt. Und einmal hat sie ihren Schnuller einfach nicht mehr gefunden. Heute, ein paar Monate nach dem Urlaub hat sie tatsächlich keinen Schnuller mehr. Einzige Ausnahme: Wenn sie bei Nonna schläft, bekommt sie ihren Schnuller, der ist immer in Nonnas Nachtkästchen.