10.02.: Morgen wird Katharina bereits vier Jahre alt! Die Zeit ist unvorstellbar schnell vergangen. Vor allem auch, weil uns mit Katharina nie langweilig wird. In den letzten Monaten hatten wir zahlreiche schöne Erlebnisse:

Wann immer ich kann, hole ich Katharina vom Kindergarten ab. Wenn sie mich sieht, rennt sie auf mich zu und umarmt meinen Fuß. Durch den Rollstuhl bin ich ein schwer erreichbarer Papa. Die Assistentin hilft Katharina beim Anziehen und dann verlassen wir den Kindergarten. Vor der Tür macht sie es sich auf meinem Fußbrett gemütlich, der Papa ist schließlich auch eine tolle Mitfahrgelegenheit. Bevor es aber so richtig los geht, steht sie noch einmal auf, sieht mich an und fragt: „Papa, was hast du mir mitgebracht?“ Der Papa hat doch wirklich immer etwas für seine Tochter im Rucksack. Ein Schokolademarienkäfer oder beispielsweise ein Überraschungsei. Das kleine Mitbrinsel war immer als Versüßung des Augenblicks der Begegnung gedacht. Wenn man nur hin und wieder seine Tochter abholt, stellt dies auch kein Problem dar. Kommt man aber täglich, wie es im Dezember für zwei Wochen der Fall war, verwandelt sich die kleine Aufmerksamkeit zu einer Pflichtübung, die noch dazu ungesund ist. Wie aber daraus kommen? Nichts mehr mitbringen? Der erste Versuch scheiterte kläglich. Katharina weinte todunglücklich. Alternativlösungen wie Schaukeln gehen oder Ringelspiel fahren waren wegen der extremen Kälte unmöglich. So gab es einen Kompromiss: zuckerfreier Kaugummi. Montag gab es Kaugummi mit Apfelgeschmack, Dienstag mit Kirschgeschmack, Mittwoch mit Pfefferminzgeschmack…

Wenn sich eine Behinderung verschlechtert, ist dies vorerst negativ, kann aber auch seine positiven Aspekte haben. Auf meinem Rollstuhl war ein wegklappbares Tischbrett montiert, auf dem sich ein Mini-Joystick befand. Mit meiner linken Hand konnte ich durch kleine Bewegungen des Daumens und des Zeigefingers so den Rollstuhl manövrieren. Seit einem halben Jahr benütze ich diese Steuerung nicht mehr, sie war durch die weitere Einschränkung der Fingerbeweglichkeit nicht mehr bedienbar.

Schweren Herzens entschied ich mich, das Brett mit der Elektronik abzumontieren. Der erste Vorsatz im neuen Jahr wurde eingehalten und ein Rollstuhl-Monteur entfernte vormittags das Brett. Als Katharina zu Mittag vom Kindergarten nach Hause kam, staunte sie nicht schlecht: „Ja Papa, dein Brett ist weg!“ Voll Begeisterung stieg sie auf die Rollstuhlpedale, griff auf meinen Pullover und zog sich ganz zu mir auf den Schoß. Sie umarmte mich, drückte mich und kletterte auf mir herum. Sie genoss ihren Papa, der nun ohne Barrikaden zu erreichen war. Ich genoss meine liebevolle Tochter und vermisste keinen Moment das Brett oder die einstige Beweglichkeit meines Daumens.

Katharina wird von Monat zu Monat reifer. Das zeigte sich auch während einer Kirchenmesse. Judit musste auf die Toilette. Die normale Reaktion von Katharina wäre gewesen, dass sie mitgehen möchte. Doch diesmal schüttelte sie den Kopf und argumentierte: „Ich bleibe hier. Weil ich muss auf den Papa aufpassen“. Judit und ich, wir lächelten uns zu. Wir hatten wirklich schon eine verantwortungsvolle Tochter!

Täglich kommen bei uns Assistentinnen, die mich anziehen, ausziehen, zu essen geben, durchbewegen etc… Katharina hat zu jeder Assistentin ein eigenes Verhältnis und eigene Spiele entwickelt. Sonntags werden mit Enila Puppen eingewickelt, umgebettet, an- und ausgezogen. So wie es auch mit dem Papa gemacht wird. Eine Jacke war jedoch zu wenig, Enilas Puppe hatte keine. „Ich gebe ihr die Jacke von meiner Puppe“, hatte Katharina gleich eine Lösung parat. „Aber dann wird deiner Puppe draußen beim Spazierengehen kalt werden“, warf Enila ein. „Nein“, schüttelte Katharina den Kopf, “wenn ihr kalt ist, dann umarme ich sie“.

Die Äußerungen von unserer Tochter sind oft sehr überraschend und bewegend. Durch eine Geschichte gelang es Katharina sogar, der Nonna (Oma) das Rauchen abzugewöhnen. Hinzugefügt werden muss, dass sie von frühester Jugend an rauchte, viele Jahre im Tabakgeschäft ihres Vaters arbeitete und alle paar Stunden eine Zigarette anzündete. Teils aus Gewohnheit, teils aus Abhängigkeit, teils des Genusses wegen. So war ihre erste Tat bei einer Wanderung nach Erreichen des Gipfelkreuzes, dass sie aus ihrem Rucksack eine Zigarette heraus fischte und diese genüsslich inmitten der schönen Natur und der frischen Luft rauchte. Nonna kommt beinahe täglich zu uns nach Hause, kocht, bügelt, spielt mit Katharina und geht mit ihr neues Gewand einkaufen, das abends gemeinsam stolz präsentiert wird. Hin und wieder verschwindet Nonna. Katharina weiß bereits wohin: Sie steht im Innenhofgarten und raucht eine Zigarette.

Eines Tages schaukelt Katharina mit Mama im Garten. Katharina gibt der auf der Schaukel sitzenden Mama immer wieder einen Schubs. Mit beiden Händen – plötzlich jedoch nur mehr mit einer. „Warum schubst du mich nur mehr mit einer Hand an?“, fragt Judit. „Ich rauche eine Zigarette“, erklärt Katharina ganz selbstverständlich und fügt hinzu. „Wie die Nonna“. Dann will Katharina nicht mehr schubsen. Sie lässt die Schaukel ausschwingen und Judit klettert herunter. Katharina macht mit der Hand eine ruckartige Bewegung und tritt mit ihrem rechten Fuß fest auf den Boden. „Was tust du da?“, fragt Judit. „Ich trete die Zigarette aus“, sagt Katharina. Als Judit ihrer Mutter diese Geschichte erzählt, hört diese tags darauf zum Rauchen auf. Liebe ist: Für sein Enkelkind auf die Zigarette zu verzichten!

Immer wieder schön ist es, mit Katharina gemeinsam ins Bett zu gehen. Leider tue ich das viel zu selten! Katharina kuschelt sich zu mir, legt ihren Kopf auf meine Schulter und dann darf ich ihr eine Geschichte erzählen. Vorkommen muss darin Mützi, ihre gehörlose Freundin und der Affe Rollo, eine Figur aus einem Kinderlied. Und so erfinde ich Geschichten wie Affe Rollo und Mützi in die Schule gehen und ein großes Chaos verursachen. Oder gemeinsam auf der Flucht vor dem bösen Wolf auf Bäume klettern… Ihre Lieblingsgeschichte ist der Kaffeehaus-Besuch von den beiden. Affe Rollo und Mützi bestellen einen Kakao nach dem anderen, der Kellner hat gar nicht so viele Zetteln, um sie alle zu notieren. Schließlich schleppt er Tablett um Tablett mit Kakaotassen heran. Katharina lacht immer bei dieser Vorstellung und sagt, „..und dann trinken sie noch einen Kakao, und noch einen Kakao, und noch einen Kakao…“. Der Gedanke, all diese Kakaos zu trinken, ist offenbar sehr anstrengend und ermüdend. Denn kurz darauf sagt Katharina: „Ich muss jetzt schlafen“. Schließt die Augen und ist im selben Moment eingeschlafen.

Eines der schönsten Momente ist immer, Katharina im Schlaf zu beobachten. Wenn wir spät abends ins Bett gehen, liegt sie dort, gemütlich in die Decke gekuschelt und atmet tief. „Zum Küssen“, sagte ich zu Judit. „Willst du sie küssen?“, fragt Judit. Ich nicke, „Ja, würde ich gerne. Wenn es ginge“. Judit sieht mich an, dann packt sie mich unter die Achseln und ich schwebe auf Katharinas Kopf zu, küsse sie in die Haare und schlafe diese Nacht besonders gut.