14.07.: Es gibt Dinge, die man im Leben gemacht haben muss. Beispielsweise einen Baum pflanzen. Eine Fiakerfahrt gehört in den Augen von Judit auch dazu. Und so hat sie mir dieses Erlebnis zum Geburtstag geschenkt.
Wir treffen den Kutscher Alfred an einem Sonntagmorgen beim geplanten Einstieg auf der rechten Seite des Burgtheaters. Die ganze Familie ist mit dabei. Die Pferde stehen schnaubend bereit, mir klopft das Herz. Ob das wohl gut geht? Vor Aufregung muss ich aufs Klo, Rollstuhl-WC gibt es natürlich auf der Straße keines. Aber ich muss ja nur im Rollstuhl katheterisiert werden und Wasser gibt es bei der Pferdetränke. Alles kein Problem, die Kutsche dient als Blickschutz. Um in die Kutsche einzusteigen, weist mich Alfred an, auf den Gehsteig zu rollen. Dies geht beim abgeschrägten Eck sehr gut. Auf dem Gehsteig stehend ist der Niveau-Unterschied zur Kutsche etwas geringer und die Rampe kann relativ flach aufgelegt werden. Zwei versteckte Schienen werden ausgezogen und mit Hilfe meiner Frau rolle ich in die Kutsche. Die unterschiedlichen Radabstände der Vorder- und Hinterräder stellen kein Problem dar. In der Kutsche ist eine Sitzbank hochgeklappt, trotzdem kann ich nur schräg den Rollstuhl einparken.
Meine Familie nimmt rund um mich Platz, die Türen werden geschlossen und die Fahrt geht los. Auf der weißen Kutsche ist hinten zu lesen: „Nicht nur für Hochzeiten“. Na klar, auch für Rollstuhlfahrer!
Wir sind jedenfalls die Attraktion schlechthin. Touristen fotografieren uns. Wir fotografieren uns auch, unser lustiges Spiegelbild in den Schaufenstern. Mein Sohn winkt, die Leute lachen und winken zurück. Meine Tochter sitzt am Kutschbock bei Alfred und erzählt ihm, dass sie auch schon einmal geritten ist. Die Pferde heißen Marcel und Speedy, erzählt sie mir im Nachhinein. Sie fragt mich auch, ob ich wisse, warum die Pferde bei der roten Ampel nicht stehenbleiben wollten. Marcel und Speedy waren Rennpferde in der Krieau, lautet die Erklärung.
Die Fahrt ist erstaunlich ruhig. Nur beim Anfahren, etwa bei roten Ampeln, gibt es einen Ruck. Alfred meidet auf seiner Fahrt durch Wien die gepflasterten Straßen. Nur einmal rumpeln wir über das Steinpflaster auf der Freyung. Alfred weist auf wichtige Sehenswürdigkeiten hin: das Geburtshaus von Beethoven, das Drei-Mäderl-Haus von Schubert, das mit Dachschindeln gedeckt worden ist und rechts ist der Rosengarten im Volksgarten, wo man tolle Hochzeitsbilder machen kann. Dann fahren wir an der Hofburg vorbei, wo „unser Herr Bundespräsident“ arbeitet, wie er stolz erzählt. Auch am Sonntag? Die Fiakerfahrt war jedenfalls ein tolles Erlebnis!
14.08.: Diese Woche ging ich mit Katharina ins Naturhistorische Museum. Ich schickte Katharina an die Kassa, um Karten zu kaufen. Meine Assistentin gab ihr die Geldtasche und Katharina verschwand aufgeregt. Minuten später kam sie noch aufgeregter zurück und erzählte: „Papa, du hast nur einen Euro. Die Karten kosten aber drei Euro. Ich habe nicht gewusst, wie ich zahlen soll. Aber da hat ein Mann seine Geldtasche rausgeholt und mir zwei Euro geschenkt, damit wir die Ausstellung ansehen können.“ Was Katharina übersehen hatte, war der 50 Euroschein in der Geldtasche. Der edle Spender blieb unauffindbar. Sollte er zufällig diese Zeilen lesen: Herzlichen Dank! Ich lade Sie gerne zu einem Café ein.
28.8.: Berührende Szene. Durch meinen Rollstuhl und das Beatmungsgerät und den Schläuchen bin ich doch recht unnahbar geworden. Es ist nicht so einfach, mich zu umarmen. Vergangenen Samstag hat sich Elias zu mir auf den Rollstuhl gestellt. Er liebt diesen Platz: gute Aussicht, Knöpfe zum Spielen und die Nähe zum Papa. Ich kann den Daumen der linken Hand bewegen und habe ihn damit ein wenig gekitzelt. Elias hat gelacht, hat meine Hand genommen und sie an verschiedene Stellen des Oberkörper gehalten, wo er gekitzelt werden möchte. Dann hat er seinen Kopf in meine Armbeuge vergraben. Ein Blick nach oben und ein freches Grinsen. Ich hab zurück gelacht. Elias hat immer mehr gelacht und das hat ihm so gefallen, dass er weiter an mir hochgeklettert ist. Schließlich kniete er auf meinen Oberschenkeln und umarmte mich ganz herzlich. Drückte seinen Kopf an meinen und klopfte mir mit seiner rechten Hand aufmunternd auf die Schulter. Meine Brille verrutschte, die Stäbchen zur Abdichtung verabschiedeten sich. Aber es war wunderschön, für Vater und Sohn!
02.09.: Elias gibt Gas. Jetzt in Vorarlberg waren wir bei Freunden zu Gast, in einem großen modernisierten Stall. Es gab viel Platz und Elias nahm die Gelegenheit wahr, kletterte auf meinen Rollstuhl und drückte zuerst zaghaft, dann immer selbstbewusster auf den Joystick. Der Rollstuhl bewegte sich und Elias freute sich. Er stand auf den Fußpedalen und wir fuhren durch den Raum. Judit begleitete uns und lenkte mit Anweisungen ein wenig mit. Das war wirklich lustig.
Einen Tag später waren wir an der Seepromenade des Bodensees unterwegs. Elias kletterte wieder auf den Rollstuhl und wollte fahren. Er gab auch gleich ordentlich Gas. Dabei hatte er Katharina übersehen, die langsam vor uns ging. Zack – und sie lag weinend am Boden. Das war leider das Ende von Elias Fahrt. Er muss noch einiges dazu lernen, bis wir gemeinsam durch die Gegend kurven können. Aber irgendwann kann das ein lustiges Bild abgeben 🙂
09.09.: Papa, darf ich… Es ist Schulbeginn, Katharina kam gestern von ihrem zweiten Schultag in der dritten Volkschulklasse heim und erzählte ganz begeistert, dass sie die Französisch-Lehrerin kennengelernt hat. Die sei sooo nett und sie möchte unbedingt das Wahlfach Französisch machen. „Papa, darf ich?“, fragte sie. Natürlich hatte ich nichts dagegen. Katharina erklärte mir gleich, was ich dazu tun muss. Sie las mir den vorgedruckten Bestätigungszettel der Schule vor, füllte ihren und meinen Namen aus und dann musste ich nur noch unterschreiben. Ganz selbstverständlich holte sie einen Kugelschreiber, steckte ihn mir in den Mund und hielt mir den Zettel vor das Gesicht. Dabei muss der Kugelschreiber dort ansetzen, wo die Unterschrift auch hingehört. Alles kein Problem für Katharina. Ich unterschrieb mit dem Mund, jetzt geht sie in den Französisch-Unterricht. Ich bin schon sehr stolz auf meine achtjährige Tochter!
13.09.: Hurra, Elias sitzt am Topfi. Wir versuchen schon seit einigen Wochen, Elias die hohe Kunst des Topfi-Gehens beizubringen. Hineinpiseln geht schon. Dann rennt er immer mit seinem Topfi durch die Wohnung, um allen seine Großtat zu verkünden. Und wir alle rufen: „Bravo! Super, Elias!…“. Wenn er bei allen Leuten war, ist schließlich nichts mehr im Topf. Das hat er auf seinem langen Weg nach und nach verschüttet. Wir freuen uns trotzdem!
Gestern war „Druckerletag“. Zuerst kam Elias mit seinem Topf und rief: „Schnecke!“. Tatsächlich sah das kleine Etwas aus wie eine Nacktschnecke. Wir waren alle so begeistert, dass Elias gleich darauf dreimal aufs Topfi musste. Und immer hatte er Erfolg.
03.10.: Elias Wortschatz. Elias macht enorme Fortschritte. Er schnappt alles auf, was man so sagt und wiederholt es. Heute beispielsweise baute Judit mit ihm die Eisenbahnschienen zusammen. Als der Zug fuhr, sagte Elias plötzlich: „Da bin ich baff!“ Das ist seine Lieblingsaussage. Wenn Mama von der Arbeit kommt, ist er ebenfalls baff. Oder wenn beide am Bahnsteig stehen und ein ICE einrollt. Da heißt es: „Mama, ein ICE. Da bin ich baff!“ Wir kennen übrigens die genauen ICE Zeiten: täglich um 17:18 zischt ein ICE durch die Bahnhofsstation Penzing. Elias ist immer live dabei.