11. 5. – Und schon wieder hat unsere Kathi Geburtstag – drei Monate ist sie schon. Wie die Zeit vergeht. Seit unsere Tochter auf der Welt ist, mindestens doppelt so schnell. Wobei man ja nicht Kathi sagen darf! Das würden wir jedem strengstens untersagen. Denn diese Abkürzung gefällt uns nicht. Also bitte, immer schön Katharina aussprechen! Ob sich später einmal ihre Schulkolleginnen auch daran halten werden? Eine akzeptable Möglichkeit wäre noch Nina. Nun gut, das soll nicht unsere größte Sorge sein, aber als Eltern macht man sich eben so seine Gedanken. Das Kind soll ja nicht leiden – und schon gar nicht unter seinem Namen. Ob ihr der Name Katharina gefällt, wissen wir noch nicht, denn noch reagiert sie darauf überhaupt nicht. Da sorgt ein zärtliches väterliches Zungenschnalzen für mehr Aufmerksamkeit.
Sie ist ein entzückendes Kind geworden, die Finger sind jetzt richtig rund und fest und der restliche Körper ist ordentlich in die Länge (und in die Breite!) gewachsen. Ein richtig knackiges Baby, das man am liebsten den ganzen Tag knuddeln würde. Leider verlasse ich jeden Tag in der Früh unsere Wohnung, rolle ins Büro und komme erst abends wieder zurück, kurz bevor Katharina schon wieder ins Bett geht. Diese klassische Vaterrolle – sprich: Alleinerhalter – macht mich einerseits, muss ich gestehen, schon auch stolz. Denn wer hätte sich früher einmal vorstellen können, dass jemand wie ich, mit einer doch sehr schweren körperlichen Behinderung, seine Familie allein finanziell erhalten würde. Andererseits fällt es mir sehr oft schwer, in der Früh wegzugehen und ich wäre viel lieber bei Judit und Katharina zuhause. Noch einmal andererseits arbeite ich aber wiederum auch gerne. Und so ganz auf meine Arbeit zu verzichten, wie es Judit derzeit macht, würde mir auf Dauer schwer fallen. Judit ist ja auch ein Arbeitstier. Im Moment, sagt sie, geht ihr die Arbeit überhaupt nicht ab. Ich frage mich nur wie lange noch. Jedenfalls haben wir vor kurzem länger darüber geredet und beschlossen, im Herbst ein neues Modell der Arbeitsteilung zu finden. Judit möchte ab Oktober wieder zwei Tage pro Woche arbeiten gehen und ich darf dann bei Katharina bleiben. Mit Unterstützung meiner Assistentinnen müsste das klappen. Ich habe ja schon jetzt ein gut funktionierendes Assistentinnen System rund um mich aufgebaut. In der Früh kommt eine meiner vier Assistentinnen, zieht mich an, bereitet mir das Frühstück, bewegt mich durch, begleitet mich zur Arbeit. Und am Abend werde ich von einer anderen Assistentin dort abgeholt und dann machen wir noch gemeinsam eine sportliche Aktivität wie Training mit dem „Handy-Bike“ (Fahrrad mit Handpedalen) oder Schwimmen gehen im Hallenbad. Meine Assistentinnen finde ich immer auf der Uni-Jobbörse, wo ich ein Inserat aufgebe, wie: „Junger, sympathischer Mann im Rollstuhl sucht Assistentin zwecks Anziehen in der Früh und gemeinsame Sportaktivitäten”. Zugegebenermaßen war gerade dieser Inseratentext bei der Assistentinnensuche nicht sehr erfolgversprechend.
Mein Assistentinnensystem entlastete schon vor Katharina wesentlich unsere Beziehung. Denn wenn alle Pflege- und Assistenzmaßnahmen Judit übernehmen müsste, wäre das eine zwangsläufige Belastung für jede noch so große Liebesbeziehung. So geht Judit weiterhin arbeiten und ich kann weitgehend ein unabhängiges und selbstbestimmtes Leben führen. Und so stell ich mir auch die Assistenzhilfen für mich und Katharina vor. Die Assistentin soll nicht ein Ersatz für Judit sein oder einfach ein Babysitter, den oder die wir mit Katharina alleine lassen. Sondern die Assistentin sollte mich in meiner Vaterrolle unterstützen und jene Dinge mit Katharina tun, die ich alleine nicht tun kann. Wahrscheinlich wird es nicht so einfach werden, dafür gute AssistentInnen zu finden. Wenn ich auf der Jobbörse inseriere: „Vater und Tochter suchen Assistentin für gemeinsame Freizeitgestaltung”, könnte das auch missverstanden werden. Aber mal sehen, wer sich da meldet.
Ich versuche so gut es geht, meine Vaterrolle zu erfüllen. Vieles kann ich aufgrund meiner Behinderung nicht machen, etwa Katharina schaukelnd herumtragen oder sie zum Aufstoßen über die Schulter zu legen. Auch Windelwechseln bleibt mir sagen wir mal erspart. Obwohl ich es eigentlich gerne machen möchte. Aber ist das nicht so bei allen Dingen, die man nicht machen kann. Wenn ich es könnte, hielte sich wahrscheinlich der Wunsch danach in Grenzen. Natürlich habe ich jetzt, solange Katharina noch so klein ist, noch eingeschränktere Möglichkeiten. Später, wenn sie mal größer ist und auch Argumenten (mehr oder weniger) aufgeschlossen sein wird, wird es mir sicherlich leichter fallen meine Vaterrolle zu erfüllen. Aber auch jetzt haben wir schon eine Reihe von Dingen entdeckt, die ich tun kann: Zum Beispiel Katharina mit dem Fläschchen füttern. Dabei stehe ich mit meinen Stützapparaten an den Esszimmertisch gelehnt und Katharina liegt vor mir in meinen Armen. Das macht wirklich Spaß und ist ein unglaublich schönes Gefühl, wenn sie so genüsslich ihr Fläschchen aussaugt. Sehr gerne spiele ich mit meiner Tochter. Sie hat sich dabei schon ziemlich weiterentwickelt. Spielten wir vor einem Monat noch „Greif den Bären”, hat sie nun die notwendige Technik nicht nur heraußen, sondern hat auch das Spiel weiterentwickelt, es heißt jetzt „Greif die Brille”. Aber auch ich habe ein neues Lieblingsspiel: „Kitzel die Fußsohle”. Katharina lacht dabei ganz herzlich. Letzte Woche haben wir etwas Neues ausprobiert und Katharina auf meinen Schoß gesetzt, wo wir sie mit dem Tragetuch fixierten. Katharina gefiel es, mit mir herumzufahren. Sie bekam dabei viel mehr zu sehen, als in ihrem Kinderwagen. Nach ein paar Runden in der Wohnung sind wir dann hinaus auf die Straße gerollt. Zu dritt machten wir so einen kleinen Einkaufsbummel. Mir kam dabei vor, dass alle auf mich und Katharina blickten. Ich war sehr, sehr stolz. Und Katharina schlief am Ende durch all die gesammelten Eindrücken ermüdet friedlich in meinen Armen ein.