Ein weiteres Medienbeispiel, das mich persönlich sehr bewegt hat. Pier-Giorgio Welby und ich:

 

Er sitzt im Rollstuhl. Ich auch. Er wird beatmet. Ich hänge an einer surrenden und pfeifenden Beatmungsmaschine. Er ist fast blind. Ich habe starke Sehprobleme, erkenne nur schwer Gesichter und kann nicht mehr lesen. Er wird künstlich ernährt. Ich lebe von einer gelblichen Sondennahrung, die direkt in den Darm eingeführt wird. Er will sterben. Ich will leben.

Das schrieb ich 2006 über Pier-Giorgio Welby, ein Italiener, der von den Ärzten forderte, dass sein Beatmungsgerät abgeschaltet wird. Heute lebe ich und darf vor Ihnen eine Rede halten und er ist tot.

 

Rückblick 2006:

Wochenlang verkörperte der an Muskeldystrophie Erkrankte in den Medien Schicksal und Leid. Italienische Abgeordnete demonstrierten für ein Euthanasiegesetz. Das Gericht ist Welbys Ersuchen nach aktiver Sterbehilfe nicht nachgekommen und hat ihn, laut Medien „zum Leben verurteilt“ (Focus online). Auf der medialen Anklagebank standen der Arzt, das Gericht und der Papst, der meinte, dass das Leben allein von Gott genommen werden kann, da er es auch gegeben hat. „Lasst ihn doch sterben“, forderten auch Kommentare im Internet. Ganz Europa war im Fieber einer Euthanasie-Debatte.

 

Es steht mir nicht zu, über das Leben anderer zu urteilen. Welbys Entscheidung, nicht mehr leben zu wollen ist angesichts seiner progressiven Behinderung und der langjährigen Auseinandersetzung damit, zu respektieren. Hinterfragungswürdig ist jedoch das inszenierte Medienspektakel und sein Wunsch die persönliche Lebenssituation in ein Gesetz gießen zu wollen. Jeder der Welby im Fernsehen sah, dachte sich, dass er nicht so leben möchte wie er. Auch zu mir sagen immer wieder Leute, dass sie sich nicht vorstellen können, so wie ich zu leben. Lebensqualität ist jedoch etwas sehr Relatives. In der jeweiligen Situation sieht die Sache ganz anders aus. Der Wunsch lieber tot zu sein als im Rollstuhl zu sitzen ist leichtfertig geäußert. Doch auch auf vier Rädern kann man Glück und Liebe erfahren. Die negative Leidensdarstellung Welbys in den Medien stellt jedoch letztendlich das Lebensrecht aller behinderten Menschen in Frage.

 

Aber ist es nicht erstaunlich, dass in der aktuellen Sterbediskussion, es gerade Menschen mit Behinderungen sind, die aufschreien und sagen: Wir wollen keine Sterbehilfe. Wir wollen Chancengleichheit und mehr Unterstützung für ein selbstbestimmtes Leben?! Diese Rufe sollten durch die Medien verbreitet werden und nicht das, was die anderen für behinderte Menschen wollen. Das Gegenteil von gut, ist gut gemeint.

 

Sterbehilfefälle in Belgien oder den Niederlanden haben auch in Österreich die Diskussion über aktive Sterbehilfe entfacht. Bei uns ist das Ende des Lebens leider ein Tabuthema. Aber es geht uns alle an, wie wir unsere letzten Tage verbringen.Am 2. Juli 2014 wurde im Parlament die Enquete-Kommission zum Thema „Würde am Ende des Lebens“ konstituiert. Abgeordnete und ExpertInnen werden sich in öffentlichen Sitzungen zu den Themenkreisen Hospiz- und Palliativversorgung, Patientenverfügung, sowie zur Frage, ob das Verbot der Tötung auf Verlangen verfassungsrechtlich abgesichert werden soll oder nicht, beraten.

Um die Diskussion auf eine möglichst breite Basis zu stellen, sind alle Bürgerinnen und Bürger eingeladen, ihre Anliegen auch via Mail bis 15. September 2014 an das Parlament zu richten: wuerdevoll.leben@parlament.gv.at