Wie steht es in Österreich um Jobchancen von Menschen mit Behinderungen? Franz-Joseph Huainigg über gelungene Modelle des Miteinanders in Ausbildung und Beruf.
INKLUSION VON KLEINAUF FÖRDERN
Das Gespräch führte Thomas Frühwirth
Menschen mit Behinderung sind am Arbeitsmarkt nach wie vor mit Ängsten und Vorurteilen konfrontiert. Nationalratsabgeordneter und ÖVP Behindertensprecher Fj Huainigg über Inklusion.
DIE FURCHE: Menschen mit Behinderung sind am Arbeitsmarkt teils mit Vorurteilen und Ängsten konfrontiert. Mitunter scheint Informationsmangel auf Seiten der Arbeitgeber zu herrschen. Warum tun sich Menschen mit Behinderung nach wie vor schwer, Arbeit zu finden?
Huainigg: Zum einen gibt es ein Informationsdefizit bei Unternehmern. Des Weiteren gibt es Vorurteile: Generell haftet Menschen mit Behinderung in der Öffentlichkeit ein einseitiges Klischee an. Teils wird es durch Medien transportiert. Es fehlt an direkten Kontakten zwischen behinderten und nicht behinderten Menschen. Vorurteile können nur im gegenseitigen Miteinander abgebaut werden, oder entstehen so erst gar nicht. Ich höre oft von Unternehmern, dass die Bildung nicht ausreichend ist. Das glaube ich auch: Durch das Bildungssystem werden Menschen mit Behinderung nicht entsprechend gefördert. Ihre Talente kommen oft nicht zur Geltung.
DIE FURCHE: Was müsste sich im Bildungsbereich ändern, damit Menschen mit Behinderung gut ausgerüstet in den Arbeitsmarkt starten können?
Huainigg: Ich bin ein Verfechter schulischer Inklusion, des gemeinsamen Lernens und Lebens. Das habe ich selbst erlebt und es war ein Schlüssel für meinen Lebensweg. Inklusion beginnt schon im Kindergarten und reicht bis in den Berufseinstieg. Es gibt positive Modelle, wie etwa die teilqualifizierte Lehre als Berufsausbildung für Menschen mit Lernbehinderung oder Lernschwierigkeiten. Da wird nicht auf die Defizite, sondern auf die Fähigkeiten geachtet, und dementsprechend der Lehrplan ausgerichtet. Der Praxisteil erfolgt in einem Unternehmen, der Theorieunterricht in der Berufsschule. 7000 teilqualifizierte Lehrverträge in der integrativen Berufsausbildung zeigen, dass es von der Wirtschaft gut angenommen wird. Wichtig wäre, dass diese Teilqualifizierung auch an den berufsbildenden mittleren und höheren Schulen ausgebaut wird. Weiters wäre wichtig, dass Unternehmen mehr Praktika für Menschen mit Behinderungen anbieten. Diese Berufserfahrungen gelten als Voraussetzung für Jobs, davon sind jedoch Menschen mit Behinderungen oft ausgeschlossen.
DIE FURCHE: Halten Sie das Modell der Sonderschulen für zukunftsreich?
Huainigg: Nein. Ich habe zwar höchste Wertschätzung für SonderpädagogInnen, die sich extrem für behinderte SchülerInnen einsetzen und gute Arbeit leisten, aber es geht um das System Schule. Ich glaube, dass diese Ressourcen im Sinne der Inklusion in Regelschulen eingesetzt werden sollen. Von diesem individualisierten Unterricht und dem sozialen Lernen würden nicht nur die behinderten Kinder profitieren, sondern auch die nicht behinderten Kinder. Ich habe kürzlich ein inklusives Schulzentrum in Klagenfurt besucht, das toll funktioniert. Kärnten ist eine inklusive Modellregion, wo sieben von zehn Bezirken bereits ohne Sonderschulen auskommen. Jedes Kind wird inkludiert. In diesen Inklusionszentren gibt es neben Integrationsklassen auch kooperative Kleinklassen, als Schonraum für Kinder die große Klassen nicht aushalten. Trotzdem ist man unter einem Dach und arbeitet mit anderen Klassen stundenweise zusammen. In diesen inklusiven Schwerpunktschulen wird gemeinsames Leben und Lernen Wirklichkeit. Das sollte bundesweit umgesetzt werden. Die Elternberatung sollte, wie in Tirol, von den sonderpädagogischen Zentren getrennt werden. Denn Sonderschulen, wo die Beratung jetzt ausschließlich stattfindet, haben natürlich auch ein gewisses Eigeninteresse, ihre Schulen zu füllen. Bildung ist ein wichtiger Schlüssel für die berufliche Beschäftigung.
DIE FURCHE: Halten Sie Werkstätten mit geschützter Tagesstruktur für ein sinnvolles Modell?
In letzter Zeit wurden wiederholt die Themen faire Löhne und Pensionen diskutiert.
Huainigg: Wichtig ist, dass möglichst viele am ersten Arbeitsmarkt beschäftigt werden – nicht am zweiten oder dritten. Unterstützt wird dieses Bestreben von Angeboten wie dem Jugendcoaching, ein Clearing-Verfahren, ,bei dem man schon in der Schule eruiert, welche Fähigkeiten ein Jugendlicher mit Behinderung hat, und versucht, ihn am ersten Arbeitsmarkt zu beschäftigen.
„Geschützte Werkstätten“ werden sicher nicht von heute auf morgen abschaffbar sein, sollen aber reduziert werden. Es braucht Alternativen, innovative Projekte und Beschäftigungsmöglichkeiten. Das kann aber nur durch kreative Projekte funktionieren, die neue Jobmöglichkeiten schaffen. Beispielhaft ist die inklusive Lehrredaktion des KURIER, die auf meine Anregung hin mit „Jugend am Werk“ eingerichtet wurde: Hier werden JournalistInnen ausgebildet und können ihre Fähigkeit, in leicht verständlicher Sprache zu schreiben, im Job umsetzen. Solche Projekte und Angebote für Menschen mit Behinderungen braucht es. Ich bin dafür, das Taschengeld in Werkstätten zu erhöhen. Sobald es echte Löhne gibt, besteht die Gefahr, dass die Länder, die Fördergeber von Beschäftigungswerkstätten sind, das Geld über den Regress zurückbehalten und es nicht direkt den Betreffenden zukommt. Mein Vorschlag wäre, dass man bundesweit das persönliche Budget einführt: Dass man alle Förderungen und Mittel, die ein Mensch mit Behinderung bekommt, zusammenfasst und mit dem Betroffenen gemeinsam in einer Zukunftskonferenz plant, wie er wohnen, wo und wie er arbeiten und wie er sein Leben gestalten möchte. Dazu gehört auch das Lebensende. Erstmals seit dem zweiten Weltkrieg erreichen Menschen mit intellektuellen Behinderungen ein höheres Alter. Das heißt, die Politik ist gefordert, eine finanzielle Absicherung zu schaffen und Strukturen für ältere Menschen mit Behinderungen einzuführen.
DIE FURCHE: Die Zahl der Beschäftigten mit Behinderung ist im Bund leicht rückläufig. Die Einstellungsverpflichtungen werden trotzdem erfüllt. Wie erklären Sie sich die Rückgänge?
Huainigg: Da muss jedes Ministerium vor seiner eigenen Tür kehren. Was aber wichtig wäre: dass man nicht nur auf die Zahl der Beschäftigten achtet, sondern auch auf ihre Karrieremöglichkeiten. Man müsste im Bund erheben in welchen Positionen Menschen mit Behinderungen beschäftigt sind. Die sogenannte gläserne Decke ist meines Erachtens bei Menschen mit Behinderungen eher eine Betondecke. Mein Vorschlag zur Beschäftigungsförderung wäre, aus der aktuellen „Aktion20.000“ ein Kontingent von 1.000 Arbeitsplätzen für Menschen mit Behinderungen vorzusehen. Hier ist der Sozialminister gefordert, seinen Worten auch Taten folgen zu lassen.
Was man fördern sollte, ist die Bewusstseinsbildung: Viele Unternehmen wissen noch immer nicht Bescheid über die Regelungen des Kündigungsschutzes, diverse Unterstützungsangebote und Anreize. Die Ausgleichstaxe ist vom System her zu überdenken: Aufgrund der neuen Technologien gibt es immer mehr Startups mit wenig Personaleinsatz, aber mitunter auch hohen Erträgen, die der Einstellungspflicht nicht unterliegen. Derzeit muss jedes Unternehmen, für je 25 Mitarbeiter, einen behinderten Menschen einstellen. Es wäre zu überdenken, wie man einen gerechteren Ausgleich finden kann. Das ist ein Vorschlag, den man diskutieren und durchdenken müsste.
(DIE FURCHE: In den vergangenen Monaten gab es speziell seitens der Grünen scharfe Kritik an der Behindertenpolitik der Regierung und ihrem aktuellen Arbeitsprogramm: Darin stehe kein Wort über Menschen mit Behinderung, auch die Handlungsempfehlungen der UN würden ungenügend umgesetzt. Teilen Sie diese Einschätzung?
Huainigg: Die Kritik kann ich nur beschränkt teilen. Es könnte mehr passieren, auch bei der Umsetzung der UN-Konvention. Wir haben aber gerade jetzt mit der Reform der Sachwalterschaft durch das Erwachsenenschutzgesetz einen wichtigen Meilenstein gesetzt. Das neue Reformpaket, auf das sich die Regierung geeinigt hat, ersetzt nicht das ursprüngliche Koalitionsübereinkommen, sondern ergänzt es. Bei den neuen Schwerpunkten geht es um viele Materien, bei denen Menschen mit Behinderungen stets mitgedacht werden müssen. Im aktuellen Bildungspaketsind wesentliche Maßnahmen für Menschen mit Behinderungen enthalten, zum Beispiel bei chronisch kranken Kindern die Delegation von Pflege- und medizinnahen Tätigkeiten an eingeschultes Lehrpersonal. Mein Anliegen hierbei ist, dass auch SchulassistentInnen involviert werden sollen, nicht nur Lehrpersonal. Der Beschäftigungsbonus müsste genauso gelten, wenn man Menschen mit Behinderung beschäftigt. Sofern er beschlossen wird, was wir hoffen. Hinsichtlich des Wahlrechts ist vorgesehen, dass die barrierefreie Wahl erweitert wird.