Ganz Europa liegt im Fieber einer Euthanasie-Debatte. Schicksal und Leid verkörpert der an Muskeldystrophie erkrankte Piergiorgio Welby. Abgeordnete demonstrieren für ein italienisches Euthanasiegesetz, die Europaministerin trat gar in den Hungerstreik. Es besteht die Gefahr, dass sie vor Welby stirbt, denn dieser wurde vom Gericht „zum Leben verurteilt“ (Focus online). Auf der medialen Anklagebank stehen das Gericht, der Papst und die Ärzte. „Lasst ihn doch sterben“, fordern Kommentare im Internet. Die Illustrierte Stern porträtierte in einer ihrer letzten Ausgaben zwölf deutsche Bürger mit Hochglanzfotos. Diese können ihre Bilder und die dazugehörigen Texte nicht mehr lesen, da sie laut Stern schon gestorben sind. Sie haben „in Würde“ in der Schweiz ihrem Leben ein Ende gesetzt. Zwischen Deutschland und der Schweiz boomt der Sterbetourismus. „Der Gesetzgeber schützt die Menschen.“ – „Aber er kriminalisiert sie in puncto Sterbehilfe“, kritisiert der Stern die deutsche Gesetzgebung und fordert eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe. Belgien und Holland haben die Tore zur Euthanasie geöffnet. Rekordhalter sind die Niederlande mit 1886 Euthanasiefällen im Jahr 2004. Die liberale Haltung der Politik macht in den Niederlanden auch vor behinderten Babys nicht halt. Bislang durften Kinder ab zwölf Jahren aktiv von ihrem „Leiden“ erlöst werden, das scheint nicht ausreichend.

Er sitzt im Rollstuhl. Ich auch. Er wird beatmet. Ich hänge an einer surrenden und pfeifenden Beatmungsmaschine. Er ist fast blind. Ich habe starke Sehprobleme, erkenne nur schwer Gesichter und kann nicht lesen. Er wird künstlich ernährt. Ich lebe von einer gelblichen Sondennahrung, die direkt in den Darm eingeführt wird. Er möchte sterben. Ich will leben. Wenngleich die Lebenssituationen durchaus ähnlich sind, unterscheiden sie sich in einem wesentlichen Punkt: Welby lebt offenbar seit Jahren im Krankenhaus, ich habe das Glück zu Hause zu sein, was die Lebensqualität wesentlich erhöht. Es steht mir nicht zu, über das Leben anderer zu urteilen. Welby´s Entscheidung, nicht mehr leben zu wollen ist angesichts seiner progressiven Behinderung und der langjährigen Auseinandersetzung damit, zu respektieren. Hinterfragungswürdig ist jedoch das inszenierte Medienspektakel und sein Wunsch die persönliche Lebenssituation in ein Gesetz gießen zu wollen. Jeder der Welby im Fernsehen sieht, denkt sich, dass er nicht so leben möchte wie er. Auch zu mir sagen immer wieder Leute, dass sie sich nicht vorstellen können, so wie ich zu leben. Lebensqualität ist jedoch etwas sehr Relatives. In der jeweiligen Situation sieht die Sache anders aus. Der Wunsch lieber tot zu sein als im Rollstuhl zu sitzen ist leichtfertig geäußert. Doch auch auf vier Rädern kann man Glück und Liebe erfahren. Die negative Leidensdarstellung Welbys in den Medien stellt jedoch letztendlich das Lebensrecht aller behinderten Menschen in Frage.

Das Salzburger Ärzteforum für das Leben, ein Zusammenschluss von 330 Ärzten welche sich mit ethisch-moralischen Fragestellungen auseinandersetzt, formulierte kürzlich folgenden Grundsatz: „(…) kein Arzt kann gezwungen werden einen Menschen am Anfang oder am Ende des Lebens als therapeutische Option zu töten. Dies würde zutiefst dem über Jahrhunderte geltenden Berufscodex der Ärzte, nämlich dem Hippokratischen Eid, widersprechen, der die Ärzte ausdrücklich zum Dienst am Leben verpflichtet“. Der Arzt hat auf der Seite des Lebens zu stehen. Er kann nicht zum Richter über Leben und Tod werden. Die Erfahrungen aus den Niederlanden zeigen, dass die aktive Sterbehilfe eine Eigendynamik besitzt. angefangene Euthanasieverfahren sind nur mehr schwer abzubrechen. Zusätzlich führt die Vermischung von Leben retten und Leben beenden zu einem unerträglichen Gewissenskonflikt bei Arzt und Patient. Oberärztin Sylvia Hartl, Pulmologie des Otto-Wagner Spitals, antwortet auf den Sterbewunsch ihrer Patienten immer mit der Gegenfrage: „Was kann ich für dich tun?“ Nahezu immer verschwindet der Sterbewunsch durch Schmerztherapie, der Schaffung von Kontakten zur Umwelt, Verbesserung der eigenen Kommunikationsmöglichkeiten (auch durch technische Hilfsmittel) oder einer Schaffung eines integrierten Lebensumfeldes. Alle 25 von ihr mit einem Trachestoma beatmeten Patienten leben zu Hause und nicht in einem Heim. Eine ihrer Patientinnen besucht regelmäßig in Begleitung ihrer piepsenden Beatmungsmaschine Theatervorstellungen. Die Schauspieler gewöhnten sich nur schwer an die ungewöhnlichen Beifallsbekundungen. Ein mehrfach behindertes beatmetes Kind wurde in der Caritaseinrichtung „Am Himmel“ aufgenommen, die BetreuerInnen und LehrerInnen lernten mit der Beatmungsmaschine umzugehen. Das Kind, dem Ärzte keine Lebenserwartung mehr gaben, lebte dort noch viele Jahre glücklich und zufrieden. Nur ein Mann aus Oberösterreich, bei dem Frau Oberarzt Hartel ärztliche Begutachterin war, muss nach Gerichtsbescheid in einem Pflegeheim leben. Niemand wollte für sein Leben die Verantwortung übernehmen. Während fast alle 25 beatmeten PatientInnen von ihren Angehörigen oder durch selbst eingeschulte persönliche AssistentInnen betreut werde, wurde diesem Mann jegliche Eigenverantwortung bei Gerichtsbescheid abgesprochen.

Die Frage, was der Einzelne der Gesellschaft wert ist, wird sich daran messen lassen, in wie weit eine 24-Stunden-Betreuung zu Hause möglich ist. Das Modell der persönlichen Assistenz für die Betreuung zu Hause, wie es vom Otto-Wagner-Spital angeboten wird, scheint nicht nur praktikabel sondern auch finanzierbar. Das Spital qualifiziert Laienhelfer durch ein gezieltes Schulungsprogramm. Der behinderte Mensch kann entscheiden wer ihm wann, wo und wie assisitiert, die Verantwortung über sein leben bleibt so bei ihm selbst. Diese Form des autonomen Lebens kommt aus Amerika, wo beatmete Patienten Heimstrukturen hinter sich ließen und sich selbst ein integriertes Leben organisierten. Das Otto-Wagner-Spital erstellt derzeit ein Konzept für ein Weaning-Center. Das Modell soll nach einem amerikanischen Vorbild die Betreuung zu Hause verbessern: Schulungsmaßnahmen, ambulante Dienste, ärztliche Notversorgung und ein Onlinesystem über das die Maschinen gewartet, programmiert und gegebenenfalls sofort ausgetauscht werden sind Angebote, die das Krankenhaus der Zukunft bieten sollte. Ein Leben im Pflegeheimen, wie es der beatmete Oberösterreicher führen muss, soll durch dieses Weaning-Center und Persönlicher Assistenz vermieden werden. Beim österreichischen Weg steht nicht die Frage nach dem selbst bestimmten Tod im Vordergrund sondern nach einem selbst bestimmten Leben.