Für Katharina, meine Tochter, ist es ganz selbstverständlich, dass ich im Rollstuhl sitze. Sie war 4 Jahre alt, als ich aufgrund einer Gesundheitskrise ins Krankenhaus musste. Für sie war es selbstverständlich, dass man aus dem Krankenhaus gesund entlassen wird. Aber ich benötigte danach eine Beatmungsmaschine. Es war eine schwierige Zeit für Katharina das zu verstehen. Vom Tag als ich Nachhause kam schrieb ich in der Zeitschrift „Behinderte Menschen“ folgende Tagebucheintragung:

Ich will den Papa ohne Röhrle





Erst seit wenigen Tagen bin ich zu Hause. Weg vom Krankenhaus ist jedenfalls ein Zugewinn an Lebensqualität. So sehr man sich auch im Krankenhaus um mich bemüht hat, den Lebenspartner, die AssistentInnen, die Freunde und Verwandten und die eigenen Räume können nicht durch ein System ersetzt werden. Judit hatte es in diesen Tagen nicht leicht. Sie wusste nicht, wie das Leben zu Hause mit der Beatmungsmaschine und allem drum und dran funktionieren kann und wenn ein Alarm los geht beispielsweise. Was dann zu tun ist hatte sie zwar im Krankenhaus ausführlich gelernt und geübt. Doch ein Trockentraining wird immer ein Trockentraining bleiben. 



Abends zuvor hatte Judit mit Katharina ein Gespräch geführt und ihr mitgeteilt, dass morgen der Papa nach Hause kommt. „Yippeyh!“, hat Katharina gejubelt, „darauf freu ich mich schon“. Und gleich darauf ihre Frage: „Kommt der Papa ohne Röhrle?“ Judit hat kurz gezögert und in dieser Pause hat Katharina klar gestellt: „Gelt, Mama, du fährst morgen zum Papa ins Krankenhaus, ziehst ihm das Röhrle aus dem Hals und dann bringst du ihn nach Hause.“ Die Erwartungshaltung war klar, wenn man krank ist liegt man im Krankenhaus, wenn man raus kommt ist man wieder gesund. Obwohl Judit ihr erklärte, dass ich das Beatmungsgerät benötige und damit auch das Röhrle, bestand Katharina auf ihrer Forderung.



Am nächsten Tag holte mich Judit mit dem Auto ab und wir fuhren direkt vom Krankenhaus in den Kindergarten um Katharina abzuholen. „Heute holt mich mein Papa ab!“, jubelte Katharina ihren Kindergartenfreundinnen zu. Doch als sie die Schiebetür des Autos öffnete und mich im Rollstuhl mit dem Röhrle im Hals sitzen sah, verfiel sie sichtlich. Vielleicht ein Schock, sicherlich aber die Enttäuschung den Papa nicht mehr so zurück zu bekommen wie er einmal war. Ich begrüßte sie, damals konnte ich schon relativ gut und verständlich reden. Sie sagte nur kurz „Hallo“, dann jedoch nichts mehr. Die ganze Autofahrt über schwieg sie oder wechselte ein paar knappe Worte mit ihrer Mama. Zu Hause angekommen stürmte sie in ihr Zimmer und legte sich mit ihrer Jacke mitten auf den Boden. Ich folgte ihr in meinem Rollstuhl, hinten aufgeladen heulte und jammerte die Beatmungsmaschine. Ich führte ein langes Gespräch mit ihr, erzählte, dass ich ohne die Maschine nicht atmen und leben kann. Aber meine Worte schienen wenig zu fruchten. Ihre Trauer war zu groß. Judit kam als Vermittlerin, setzte sich zu Katharina auf den Boden und zog ihr die Jacke aus. „Weißt du noch, als wir den Papa besucht haben und er kein Wort reden konnte?“, fragte Judit. Katharina nickte. „Jetzt kann er wieder reden. Das ist doch super! Aber das geht nur mit dem Röhrle“, erklärte sie weiter. Katharina taute langsam auf: „Papa, ich hab eine neue CD. Möchtest du sie hören?“ Natürlich wollte ich nichts lieber als das. Und schon trällerten fröhliche Kinderlieder aus dem Lautsprecher. „Wer will fleißige Handwerker sehen“, sang Katharina und tanzte dazu im Kinderzimmer herum. Ich sang so laut ich nur konnte mit. „Siehst du“, sagte Judit, „der Papa kann jetzt singen. Das konnte er früher nicht“. Katharina nickte und begann sich mit meinem Röhrle anzufreunden. 



Mit der Zeit akzeptierte sie mein Beatmungsgerät als Teil von mir und als Selbstverständlichkeit. Als sie Monate später am Spielplatz ein Kind fragte: „Was hat dein Papa da?“, sah sie zu mir und antworte: “ Na, ein Handy!!“. Ich telefonierte gerade mit Unterstützung der Assistentin.