Am Anfang war die Begegnung. Welch weitreichende Folgen sie haben sollte, wusste ich damals noch nicht. Unausgeschlafen war ich, abgehetzt und ein wenig grantig, da ich noch an so einer Sitzung teilnehmen sollte. Eine Aktionswoche zum Thema Behinderung an der Universität Wien war geplant. Ich als behinderter Autor sollte Gedichte und Geschichten von mir dort vorlesen. Eine nette Idee, fand ich. Nur: dies lang zu diskutieren erschien mir mühselig. An der Sitzung hatte ich nur ein Interesse, das mich kommen hatte lassen: Eine gewisse Judit von der Österreichischen Hochschülerschaft sollte teilnehmen.

Auf sie war ich, aufgrund einer kleinen Vorgeschichte, sehr gespannt. Sie hatte von mir gehört bzw. gelesen und hatte mich angerufen. Ihr Begehr: Sie wollte in einer Zeitung für Obdachlose ein Gedicht von mir abdrucken. Ich hatte nichts dagegen. „Aber“, so kam ihr Einwand, „es sollte in meiner Handschrift abgedruckt werden“. Und dies musste schnell passieren. Ich bot an, ihr ein Fax zu schicken. Das Problem war aber, dass ich kein Gedichtbuch von mir zuhause hatte und auswendig habe ich noch nie ein Gedicht von mir gekonnt. Darauf sie keck: „Aber ich kenne mein Lieblingsgedicht von dir auswendig“. Schluck. Ein wirklicher Fan! Natürlich machte ich die Probe aufs Exempel. Und tatsächlich, Judit konnte das Gedicht „Warum ich?“ auswendig. Ich war davon so fasziniert, dass ich beschloss, diese Frau näher kennenzulernen.

Warum ich?

Warum ich?

fragte ich meine Mutter.

Weil sonst niemand da ist,

sagte sie

und drückte mir das Geschirrtuch

in die Hand.

Warum ich?

fragte ich meinen Onkel.

Weil Du so brav in der Schule warst,

sagte er

und schenkte mir

eine Tafel Schokolade.

Warum ich?

fragte ich den lieben Gott.

Der sagte nichts – oder ich verstand ihn nicht.

aus: „Wenn ich nicht wäre, wie ich bin“, Ebook