Mein Gott, wie die Zeit verrollt …
Ein persönlicher Rückblick der letzten Jahre von Franz-Joseph Huainigg

Tja, was war vor 30 Jahren? Ich habe maturiert. Lebensentscheidend war für mich, dass sich meine Eltern für meine schulische Integration eingesetzt hatten. Eine große Ausnahme, ein geglückter Versuch. In den Sommerferien hatte ich mich während der Schulzeit öfters bei Zeitungsredaktionen für einen Ferialjob beworben. Ich wollte Journalist werden. Antworten auf diese „frechen Briefe“ bekam ich keine. Im Fernsehen fiel mir eine komische Sendung zur Weihnachtszeit auf: „Licht ins Dunkel“ hieß sie und war für „Behinderte“. Diese kamen in der Show jedoch nicht vor. Mit der Barrierefreiheit war es so eine Sache. Hier stritten die verschiedenen Behindertenvereine: Rollstuhlfahrer forderten eine Absenkung der Gehsteigkanten, Blindenverbände wollten vehement, dass diese ertastbaren Hindernisse bleiben. Wann der Kompromiss mit zwei Zentimetern zustande kam, kann ich heute nicht mehr sagen.

Ich begann zu studieren und hatte mit der neu errichteten Universität Klagenfurt großes Glück: Es gab einen Lift und sogar ein Behinderten-WC, das jedoch immer mit einem Reinigungswagen voll geparkt war. Dafür fehlte das Klopapier. Aber immerhin, ein Studium in Wien war Anfang der 90er Jahre wegen der alten Institutsgebäude beinahe unmöglich. Dann kam die Zeit der Demonstrationen: Mal für ein Pflegegeldgesetz, mal für schulische Integration („Gesetz statt Gnade“) und später für ein Gleichstellungsgesetz. Bei letzterer Demonstration nahm ich nicht teil, sondern war Adressat als Abgeordneter im Parlament. Wie sich die Zeiten ändern: Die Selbstvertretung von behinderten Menschen in der Politik war eine langjährige Forderung. In den letzten Jahren hat sich viel verändert, was sich an der schulischen Integration zeigt. Mitte der 70er Jahre war „Integration“ ein Fremdwort.

Als ich Anfang der 90er Jahre mit meinem Kinderbuch „Meine Füße sind der Rollstuhl“ durch die Schulen tingelte und für Integration Stimmung machte, hieß es von den LehrerInnen: „Körperbehinderte sind kein Problem, aber bei geistig behinderten SchülerInnen geht das nicht“. Heute gibt es fast an jeder Volks- und Hauptschule zumindest eine Integrationsklasse. Zwischen Behinderungsarten wird weder im Gesetz noch in der Praxis unterschieden. Man spricht nicht mehr von Integration sondern von „Inklusion“. Denn wer integriert wird, muss zuvor ausgesondert worden sein. Bei der Barrierefreiheit, der Gleichstellung, der Arbeitsintegration, … hat sich ein Paradigmenwechsel vollzogen: Weg von Almosen, Mitleid und Fürsorge, hin zu Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Inklusion.

Biographische Fakten 
Geboren: 16.06.1966 in Paternion (Kärnten)
Schulische Ausbildung: Volks- und Hauptschule sowie Handelsakademie in Spittal/Drau, danach Studium „Germanistik und Medienkommunikation“ an der Universität Klagenfurt

Mein Leben in ein paar Zeilen
Seit einer Impfung im 7. Lebensmonat sind meine Beine gelähmt. Ich bin heute auf einen Elektrorollstuhl und ein Beatmungsgerät angewiesen. In den 1990er Jahren gründete ich das Wiener KrüppelKabarett.

Von 2002 bis 2017 saß ich als Abgeordneter zum Nationalrat im Parlament und war ÖVP Sprecher für Menschen mit Behinderungen. Von 2013 bis 2017 war ich auch Sprecher für Internationale Zusammenarbeit (EZA).

2018 initiierte ich im Bildungsministerium das „Consulting Board – Sonderpädagogik und schulische Inklusion“ als Beratungsgremium des Bundesministers, wo ich ehrenamtliches Mitglied bin.

Seit Jänner 2019 bin ich Mitarbeiter in der ORF Abteilung „Humanitarian Broadcasting“.

2007 rief ich den österreichischen Literaturpreis „Ohrenschmaus“ für Menschen mit Lernschwierigkeiten ins Leben, der seither jährlich vergeben wird. 2017 bekam diese Initiative eine Vereinsstruktur durch „Ohrenschmaus. Verein zur Förderung der Literatur von Menschen mit Behinderungen“, in welchem ich Obmann bin. 2013 initiierte ich mit vielen Partnern die Internetplattform www.rechtleicht.at, welche einen Zugang zu Politik in leicht verständlicher Sprache ermöglicht.

Als Autor habe ich zahlreiche Bücher geschrieben, viele davon für Kinder. Zu letzt erschienen „Mit Mut zum Glück“ (2016), „Unsere Welt. Unsere Zukunft“ (2017), „Wer macht die Gesetze?“ (Neuauflage 2018).

Ich bin verheiratet, habe eine Tochter und einen Pflegesohn.