Ok, ich gebe es zu, in mir steckt auch ein kleiner Weltverbesserer. Setze ich mich vor ein leeres Blatt Papier und beginne eine Kindergeschichte zu schreiben, denke ich zuerst darüber nach, was ich damit erreichen möchte, was ich Kindern über das Leben erzählen möchte. Und ganz im Geheimen ist immer die Vorstellung, dass man jetzt eine Geschichte schreibt, die die nächste Generation prägt und die Welt ein wenig aus den Angeln hebt. Mit diesem Anspruch ist es allerdings schon einmal schwierig eine Geschichte überhaupt zu beginnen und sie auch so zu schreiben, dass die erhobenen Zeigefinger nicht vorkommen oder künstlerisch hinter Pointen oder einer ironischen Betrachtung versteckt sind. Ist die Geschichte dann erst einmal fertig, kommt auch die Enttäuschung: Wieder nichts mit dem großen Wurf, wieder mal nicht die Welt verbessert. Aber vielleicht beim nächsten Mal …   Um so überraschter bin ich oft, wenn sich in meinem Briefkasten Postkarten von Kindern finden, die mich einmal im Rahmen einer einstündigen Lesung in ihrer Schulklasse kennen gelernt haben. Briefe wie „Hallo, ich bin die Melanie. Du wirst dich sicher an mich erinnern können. Ich war das Mädchen in der dritten Fensterreihe mit dem kurzen Leiberl. Ich möchte gerne deine Freundin werden. Schreib bitte zurück und kreuze an Ja/Nein.“ Solche Zeilen lassen natürlich das Herz eines Autors höher schlagen. Speziell wenn man von Kindern einige Jahre nach der Lesung noch Post bekommt freut einen das nicht nur, sondern nährt auch die Vorstellung, dass man bei den Kindern einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat und vielleicht auch etwas zu ihrer Bewusstseinsbildung beigetragen hat.   Ein Grund, warum ich nicht so schnell vergessen werde, liegt natürlich an meiner Erscheinung. Wenn ich in meinem Rollstuhl in die Klasse rolle, höre ich immer leise Kommentare wie: „Aber Frau Lehrerin, der ist ja wirklich behindert.“ Andere Kinder sehen das etwas lockerer: „Heute war ein Mann im Rollstuhl bei uns. Er hatte eine Brille und hieß Franz.“ Meine Lebenssituation ist natürlich immer ein Teil des Programms. Wenn ich mein Buch „Meine Füße sind der Rollstuhl“ auspacke und die Geschichte von Margit erzähle, für die es ganz selbstverständlich ist im Rollstuhl durchs Leben zu rollen und die sich wundert, wie komisch die Leute reagieren, werde ich oft gefragt: „Bist du die Margit?“ Natürlich bin ich es nicht, aber mit Hilfe der Geschichte lassen sich viele typische Alltagssituationen behinderter Menschen anschaulich darstellen. Und ich komme in die Klasse nicht als ein behinderter Mensch der jetzt aus seinem Leben erzählt. Sondern ich bin der Kinderbuchautor, der Geschichten erzählt, die er auch teilweise erlebt hat. Eine Rolle, die eine viel bessere Ausgangssituation darstellt, da ich vordergründig einmal die Geschichte vorlese und diese auch Ausgangspunkt für die anschließenden Diskussionen sind. Bei den Gesprächen versuche ich ein wenig „Behindertenpolitik“ einzustreuen. So lautet eine meiner Lieblingsfragen an die Kinder: „Darf man einen behinderten Menschen fragen, was ihm passiert ist?“ Manch Verwegener sagt gleich einmal: „Ja, ja!“, worauf ich nachfrage: „Bist du dir ganz sicher?“, worauf wiederum gleich andere rufen: „Nein, das darf man nicht!“ Zumeist lasse ich die Argumente eine zeitlang unkommentiert aufeinander prallen, bis spätestens die Lehrerin verzweifelt ruft: „Ja darf man jetzt oder nicht?“ Man darf und soll, kläre ich dann auf. Gerade Kinder beschäftigt die Frage, warum der oder die im Rollstuhl sitzt oder nicht normal gehen kann, sehr. Das Kind dann wegzuziehen, wie es viele Eltern mit dem Hinweis „Das darf man nicht fragen“ machen, führt nur zu ersten Schwellenängsten und Vorurteilen. Denn Kinder lernen daraus: Hoppala, die sind anders, bei denen muss man aufpassen was man sagt und darf nicht normal reden. Wenn Sie diesen Absatz gelesen haben, haben Sie den Beweis dafür gefunden, dass in mir und bei meinen Texten immer der kleine Weltverbesserer dahinter steht … Kinderliteratur soll politisch sein, nicht parteipolitisch, sondern gesellschaftspolitisch. Denn die Geschichten prägen die Kinder und nicht zuletzt auch die Eltern und Großeltern, die die Geschichten kaufen und vorlesen.   Als Autor wird man oft von den Verlegern mit folgender Tatsache konfrontiert: Eine wunderschöne Geschichte, die wichtig ist und erzählt werden muss; leider aber auch eine „Problemgeschichte“, die keiner kauft und die wir daher nicht verlegen können. Hier sind einerseits die Eltern gefordert, ihren Kindern auch „Bücher mit Hintergrund“ zu kaufen. Denn die Bücher sollen ja nicht nur unterhalten, sondern können auch eine wertvolle Grundlage für Gespräche mit dem Kind sein. Andererseits sind auch VerlegerInnen und AutorInnen gefordert, mutiger zu sein. Gesellschaftspolitische Botschaften können ja auch in Osterhasen- oder Weihnachtsgeschichten verpackt sein.   (Das erwähnte Buch „Meine Füße sind der Rollstuhl“ erscheint im Juli neu illustriert von Verena Ballhaus im Verlag Annette Betz.)