Mit dem Bundesbehindertengleichstellungsgesetz setzt Österreich die EU-Richtlinie zur Antidiskriminierung vorbildhaft um. Vom Mitleid zur Gleichberechtigung: Wir vollziehen einen Paradigmenwechsel.

In der Behindertenpolitik kam es in den letzten Jahrzehnten zu einem Paradigmenwechsel: Weg vom Behinderten Menschen als Objekt der Fürsorge, hin zu einer selbstbestimmten Behindertenbewegung. Weg von der „wohlgemeinten“ Entmündigung, hin zum gleichberechtigten Miteinander. Weg vom Aussondern und Verstecken, hin zur Integration in allen gesellschaftlichen Bereichen und Präsenz im öffentlichen Raum. Weg von kontraproduktiven Schutzbestimmungen, hin zu Gleichstellung und Menschrechten. Ein Großteil der Gesellschaft sieht in den Menschen mit Behinderung immer noch primär eine Belastung. Sie sehen die Mühen des Alltags und all das, was nicht geht. Ihr Blick ist defizitorientiert. Sie sehen nicht, welche Bereicherung Menschen mit Behinderung in die Gesellschaft einbringen. Behinderte Menschen stellen Gewohntes in Frage. Durch sie wird, was es heißt glücklich zu sein, völlig neu definiert. Die Vertreterinnen und Vertreter der Behindertenbewegung sind heute die Kämpfer für Menschenrechte und das Leben an sich, so protestieren sie massiv gegen eine Euthanasie-Gesetzgebung. Menschen mit Behinderung werden im Alltag, im Arbeitsleben, bei der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, in der Freizeitgestaltung oder bei kulturellen Angeboten und auch bei sportlichen Aktivitäten diskriminiert. Behinderung liegt nicht am Menschen selbst, sondern an den sozialen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Ein barrierefreies Lebensumfeld für behinderte Menschen ist das erklärte Ziel der Behindertengleichstellungspolitik. Ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung ist das Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG). Es setzt wesentliche Akzente um behinderten Menschen die gleichberechtigte Teilhabe am Leben zu ermöglichen. Das Gesetz hat die Barrierefreiheit in alle n Lebensbereichen zum Inhalt und definiert mittelbare und unmittelbare Diskriminierungen sowie die Belästigung. Der Diskriminierungsschutz umfasst nicht nur behinderte Menschen selbst, sondern auch deren Angehörige und Lebenspartner. Bei Verstoß gegen das BGStG kann der Betroffene – nach dem verpflichtend vorgesehenen Schlichtungsverfahren beim Bundessozialamt – eine Klage vor den ordentlichen Gerichten einbringen.

Barrierefreiheit ist gesellschaftspolitisches Anliegen für alle Menschen. Das Behindertengleichstellungsgesetz hat großes Potential. Die große Herausforderung der kommenden Jahre ist dessen Umsetzung und Weiterentwicklung. Der Grundsatz der Barrierefreiheit muss zum Selbstverständnis allen Handelns werden. Auch die demographische Entwicklung und die damit verbundene rapide Zunahme an altersbedingten Behinderungen fordert Maßnahmen um die Bewegungsfreiheit des Einzelnen so weit als möglich aufrecht zu erhalten und zu verbessern. Barrierefreiheit bei Gebäuden, Verkehrsmitteln, Wohnungen etc. ist ein Stück Lebensqualität, das nahezu jede/r Mann/Frau im Laufe seines/ihres Lebens brauchen und schätzen wird. Um dies der Gesellschaft vor Augen zu führen, braucht es weiterhin massive Sensibilisierungs – und Aufklärungsarbeit. Das Behindertengleichstellungsgesetz wurde am 6. Juli 2005 im Nationalrat beschlossen, tritt am 1.1.2006 in Kraft und versucht erstmals eine umfassende Querschnittmaterie zu regeln.   Was regelt das BGStG: Wie steht es europaweit da?   Die neue EU-Richtlinie sieht vor, dass Diskriminierungen von behinderten Menschen in der Arbeitswelt beseitigt werden müssen. So darf jemand aufgrund seiner Behinderung bei gleicher Qualifikation nicht von einer Arbeitstätigkeit ausgeschlossen oder bei Karrieresprüngen übergangen werden. Die weite Fassung des betroffenen Begriffes im BGStG sieht auch vor, dass Angehörige aufgrund der Pflege oder Betreuung nicht auf ähnliche Weise benachteiligt werden dürfen. Das BGStG geht über die Richtlinie weit hinaus und regelt Barrierefreiheit in allen Lebensbereichen. Alles was neu geschaffen, gebaut oder installiert wird, muss ab.1.1.2006 Barrierefreiheit aufweisen. Damit wird ein wichtiger Schritt gesetzt, der auch aus wirtschaftlichen Überlegungen sinnvoll ist. Denn Neubauten kosten nichts beziehungsweise geringfügig mehr, wenn sie von vorn herein barrierefrei geplant und gebaut werden. Nachträgliche Adaptierungen hingegen kosten dagegen ein Vielfaches und sind zu meist technisch sehr schwierig und aufwendig durchzuführen. Für Altbestand gibt es Übergangsfristen bis zu 10 Jahren, wobei die wirtschaftliche Zumutbarkeit der Adaptierungsmaßnahmen geprüft wird, aber auch die finanziellen Zumutbarkeitsgrenzen etappenweise bis auf Euro 5000,- steigen. Durch ein degressives Fördersystem wird die öffentliche Hand auch Unternehmen fördern, die sich gleich für Umbaumaßnahmen entscheiden, welche sie laut Gesetz erst in einigen Jahren machen müssten. Der Bund verpflichtet sich bei Bundesgebäuden und Verkehrsmittel zu einem Etappenplan, der die schrittweise Barrierefreiheit innerhalb der nächsten 2 Jahre sichern soll. Die Verhandlungen zum BGStG verliefen sehr emotional: Den Behindertenverbänden gingen die Entwürfe viel zu wenig weit, der Wirtschaft viel zu weit. Man einigte sich auf einen für beide Seiten tragbaren Kompromiss, der allerdings auch bei der Beschlussfassung im Parlament zu einer sehr emotional geführten Debatte führte. Seitens der Opposition wurde auch mit falschen Tatsachen operiert. So hieß es, dass der Behindertenanwalt schlechter gestellt sei als ein Tierschutzanwalt. Was natürlich nicht der Wahrheit entspricht: Der Behindertenanwalt ist weisungsfrei, mit Sitz und Stimme im Bundesbehindertenbeirat vertreten und wird im Rahmen des Berichts „Zur Lage behinderter Menschen“ regelmäßig dem Parlament über die Umsetzung der Gleichstellung in Österreich berichten. Der europaweite Vergleich macht uns sicher, dass das BGStG im Spitzenfeld der Gleichstellungsgesetze steht. Wenn nicht sogar die Liste anführt. Das deutsche Gleichstellungsgesetz beispielsweise regelt nur Neubauten, nicht aber den Altbestand. Der privatwirtschaftliche Bereich ist ebenfalls ausgeklammert. Es gibt kein Einzelklagsrecht wie es das österreichische Gesetz sehr wohl vorsieht. Obwohl also das deutsche Gleichstellungsgesetz wesentlich schwächer ist als das österreichische, wurde es von der deutschen Selbstbestimmt Leben Bewegung als große Errungenschaft bejubelt. Die Beschlussfassung des BGStG setzte einen großen Schritt in der Gleichstellung, weitere Schritte müssen auf diesen steinigen Weg folgen: Die Länder sind aufgefordert, die Bauordnungen im Bereich der Barrierefreiheit zu harmonisieren, eine Informationskampagne wird im Jahr 2006 Bewusstsein für die Umsetzung des Gesetztes schaffen und ein Bündelgesetz ist vorgesehen, mit dem vor allem Berufszugänge geschaffen werden sollen. Bislang ist das beispielsweise nicht möglich, dass ein blinder Mensch Richter wird oder ein Lehrer mit einer Sinnes- oder Körperbehinderung vor einer Klasse unterrichtet. Die geforderte „körperliche Eignung“ war bislang ein Ausschließungsgrund und wird nunmehr durch „Eignung“ oder „gesundheitliche Eignung“ ersetzt. Wir müssen uns im Klaren sein, dass das BGStG nur dann mit Leben erfüllbar ist, wenn es auch seitens der Wirtschaft angenommen wird. Hier gilt es noch viele Unsicherheiten und Vorbehalte auszuräumen. Die Wirtschaft wird durch Barrierefreiheit profitieren und beispielsweise behinderte Menschen als Kunden, Arbeitnehmer aber auch als Arbeitgeber gewinnen. Anerkennung der Gebärdensprache: Herausforderungen für Schule und Arbeit Die Gebärdensprache ist in zahlreichen EU-Ländern wie Norwegen, Finnland, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Portugal, Schweden Deutschland, Slowenien und Tschechien anerkannt. Die Anerkennung ist unterschiedlich legistisch gefasst, während etwa Norwegen eine Anerkennung in den Schulgesetzen vorsieht, und Deutschland dies im Gleichstellungsgesetz regelt, haben wir uns im Rahmen eines parlamentarischen Sonderausschusses zu einer Verankerung in der österreichischen Bundesverfassung entschieden. Die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS) ist damit wissenschaftlich als eigenständige und vollwertige Sprache anerkannt und ist DIE Sprache der gehörlosen Menschen. Sie hat eigene grammatische Strukturen, die sich von der Lautsprache grundsätzlich unterscheiden. In Österreich gibt es ungefähr 9.000 gehörlose Menschen, deren Erstsprache die Österreichische Gebärdensprache ist und die daher auf den Gebrauch der ÖGS angewiesen sind. Aus diesen Gründen wurde nunmehr die Österreichische Gebärdensprache in Art 8 Abs. 3 der Österreichischen Bundesverfassung anerkannt..Die Anerkennung der Gebärdensprache ist ein wichtiges Signal für die Gehörlosengemeinschaft. Infolge müssen auch die Rahmenbedingungen für gehörlose Menschen verbessert und konkrete Sprachenrechte gewährt werden. Um das Bildungsniveau gehörloser Menschen ist es vielfach sehr schlecht bestellt. Der Unterricht ist meist lautsprachlich orientiert und die Gebärdensprache kommt kaum oder gar nicht zur Anwendung. Das traurige Resultat für manche gehörlose Menschen ist gesellschaftliche Isolation und Arbeitslosigkeit, mangels lautsprachlicher Kompetenz und fehlender Kenntnisse der Gebärdensprache. Studien belegen, dass die Gebärdensprache in vielen Fällen erforderlich ist um die Lautsprache zu erlernen und komplexe Inhalte zu verstehen. Neben der lautsprachlichen Förderung ist eine verstärkte Verankerung der Gebärdensprache im Unterricht erforderlich, damit die Schule gehörlosen Kindern gleichwertige Chancen und Möglichkeiten wie nicht behinderten Schülerinnen und Schülern bieten kann. In diesen Fällen könnte der bilinguale Unterricht ein richtungsweisendes Modell darstellen. Die Integration in die Gesellschaft ist eine wesentliche Aufgabe der Schule. Ein zweisprachiger Unterricht in Laut- und Gebärdensprache erleichtert gehörlosen Kindern den Zugang zu Wissen und Bildung und unterstützt die Integration in den Klassenverband und die Gesellschaft. Welche Unterrichtsform für das jeweilige Kind konkret geeignet ist, muss jedoch unter die Wahlfreiheit der Eltern fallen. Eine neutrale und objektive Beratung ist dabei unverzichtbarer Bestandteil für die Meinungsbildung der Eltern. Auch im Bereich der Aus- und Fortbildung von LehrerInnen muss die Gebärdensprache einen höheren Stellenwert bekommen. Noch immer werden gehörlose Menschen in traditionelle Berufsbilder, wie Schneider oder Hilfsarbeiter gedrängt. Erfahrungen belegen jedoch, dass gehörlose Menschen auch in anderen Berufsfeldern sehr gute Ausbildungserfolge haben. Die Firma Siemens bildet seit Jahren mit großem Engagement und Erfolg gehörlose Lehrlinge zu TechnikerInnen aus. Komplexere Inhalte werden durch den gezielten Einsatz von Gebärdensprache vermittelt. Adaptionen und Hilfsmittel machen es behinderten Menschen möglich, nahezu jede Berufsausbildung zu absolvieren. Um traditionellen Ausbildungsformen den Rücken zu kehren braucht es jedoch Mut und Phantasie. Es braucht innovative und zukunftsweisende Reformen, um die Ausbildungssituation und die Berufschancen gehörloser Menschen zu verbessern. Eine Evaluierung des derzeitigen Ausbildungskonzeptes und des Unterrichtserfolges kann hier wichtige Aufschlüsse bringen, aus denen Schlussfolgerungen für die geeigneten Bildungswege und den besten Methodenmix gezogen werden können. Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen sind dringend notwendig. Es kann nicht sein, dass die Berufsangebote an Menschen mit Behinderung immer den Stereotypen entsprechen: „Blinde können eh nur als Telefonisten und Masseure arbeiten.“ Die Berufsmöglichkeiten behinderter Menschen haben sich insbesondere auch durch den Einsatz elektronischer Hilfsmittel enorm erweitert. Bewusstseinsbildung ist notwendig um Vorurteile wie z.B.: Behinderte leisten aufgrund ihrer Behinderung weniger, sind unkündbar und immer auf Urlaub, Kur oder im Krankenstand, abbauen zu können. Möglichst alle Menschen mit Behinderung sollen die Möglichkeit und die Chance haben, durch eigene Arbeit, entsprechend den individuellen Fähigkeiten, ihr Einkommen zu verdienen und selbstbestimmt zu leben. Im Sinne des Strebens nach einem selbstbestimmten Leben kommt der Integration in den Arbeitsmarkt besondere Bedeutung zu. Arbeit verschafft nicht nur finanzielle Mittel zur Lebensführung, sondern auch Anerkennung und das Gefühl gebraucht zu werden. Das ist für jeden Menschen wichtig und auch für behinderte Menschen. Es gibt bereits zahlreiche Unterstützungsmechanismen, die eine Integration in den Arbeitsmarkt unterstützen und erleichtern. Diese Modelle – wie z.B.: die persönliche Assistenz am Arbeitsplatz, Lohnkostenzuschüsse, Arbeitsplatzadaptierungen etc. – sind zielorientiert und effizient auszubauen. Die Beschäftigungsoffensive der Bundesregierung trägt erste Früchte, so ist es gelungen, zahlreiche behinderte Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, die nicht als arbeitslos gemeldet waren, da sie keine Perspektiven für sich in der freien Wirtschaft sahen. Die Fördermittel boten in Form von experimentellen Projekten Raum neue Beschäftigungsmöglichkeiten unter verschiedensten Rahmenbedingungen auszutesten. 2003 wurden so 7000 neue Arbeitsplätze in der Wirtschaft erschaffen oder bestehende abgesichert. In den letzten beiden Jahren ist die Arbeitslosenquote unter behinderten Menschen unter 7% gesunken und das trotz der schwierigen konjunkturellen Situation.   Schulische Integration: Der richtige Start ins Leben – Europaweit ein Vorbild.

Seit dem Jahr 1993 besteht nunmehr das Wahlrecht der Eltern zwischen der Integration in die Regelschule und der Sonderschule. Durch die Schulintegration fanden neue Unterrichtsmethoden in das Bildungssystem Eingang. Offener Unterricht, projektorientiertes Arbeiten, verstärkte Individualisierung und Förderung sowie die Vermittlung von sozialen Kompetenzen sind die Eckpfeiler der integrativen Pädagogik. Das gemeinsame Arbeiten und Lernen, unabhängig von einer Behinderung, ve rmittelt Schlüsselqualifikationen, die in unserer heutigen Berufswelt dringend gefragt sind. Hier kann das österreichische Bildungssystem viel von der Schulintegration lernen. Unser Ziel muss es daher sein, die Individualisierung des Unterrichts als durchgängiges Prinzip in unserem Bildungssystem zu etablieren. Jedes Kind muss entsprechend seiner Fähigkeiten und Begabungen gefördert werden. Trotz vielfach guter Erfolge im Rahmen der Schulintegration, bedarf es einer stetigen Weiterentwicklung und Verbesserung. Um die Qualität der integrativen Maßnahmen sowohl für den Einzelnen als auch für die Klassengemeinschaft objektiver bewerten und verbessern zu können braucht es eine flächendeckende Evaluierung der Modelle und Rahmenbedingungen sowie die Schaffung einheitlicher Qualitätskriterien. Zahlreiche Schulversuche in berufsbildenden mittleren Schulen zeigen, dass auch die weiterführende Integration – über den Pflichtschulbereich hinaus – sinnvoll und arbeitsmarktorientiert gestaltet werden kann. Im Hinblick auf den Ausbau der schulischen Integration sollten diese Erfahrungen ausgewertet und für die Weiterführung der Schulintegration genutzt werden. Durch eine den Anforderungen des Arbeitsmarktes entsprechende Integration in den berufsbildenden Schulen, kann eine erfolgreiche Integration in das Arbeitsleben sinnvoll vorbereitet und umgesetzt werden. Auf diese Weise könne die Sekundarstufe II schrittweise für die Schulintegration geöffnet und auf den jeweils gemachten Erfahrungen aufgebaut