London 2012, die Paralympics werden eröffnet. Ich treffe in der österreichischen Botschaft auf eine Journalistin im Rollstuhl. Wir kommen ins Gespräch. Sie spricht überraschend Deutsch. Es ist Christiane Link, die von Deutschland nach Großbritannien gezogen ist, um bei der BBC zu arbeiten. Im Herbst 2014 treffe ich sie in Wien wieder. Sie schult die BehindertenassistentInnen am Flughafen Wien. Ich frage sie, wie es ihr in Wien gefällt. „Gut“, sagt sie, „Ich bin ein Fan von Wien. Alle U-Bahnstationen sind barrierefrei. Nur die Leute manchmal gewöhnungsbedürftig“. Wir müssen beide lachen. Christiane berichtet mir gleich am Beginn unseres Gespräches über eine seltsame Begegnung im Zug:“ Eine Frau fragte mich, warum ich ohne Gepäck unterwegs bin. Ich erklärte ihr, dass ich am Flughafen arbeite. Sie war überrascht und meinte: >Ach, sie arbeiten?< Das hat mich total verwundert. In London werde ich immer gefragt: >Was arbeitest du?> Die Einstellung gegenüber behinderten Menschen, ist Hierzulande noch ganz anders.“

Du lebst in London, wie lebt es sich dort im Rollstuhl?

Ich wollte nicht dauerhaft nach Großbritannien auswandern, wollte nur 6 Monate bei der BBC arbeiten, aber ich bin nie mehr zurückgekommen, weil London so eine tolle Stadt ist. London ist relativ barrierefrei mit der Ausnahme der U-Bahn. Meine Lebensqualität hat sich gegenüber Deutschland wesentlich gebessert. Die Menschen sind freundlicher, offener, multikultureller. Die Einstellung gegenüber Menschen mit Behinderung ist anders, normaler. Mit einem Rollstuhl durch die Stadt zu fahren ist nichts Besonderes, man fällt im Straßenbild gar nicht auf. Die Leute wissen einfach, dass Diskriminierungen nicht toleriert sind und so verhalten sie sich meistens auch. Natürlich gibt es auch dort Idioten, aber es ist etwas anderes wenn man weiß, dass die Gesellschaft hinter einem steht und man auch rechtliche Möglichkeiten hat. Außerdem gibt es viel mehr barrierefreie Toiletten, auch alte Gebäude werden umgebaut, nur die U-Bahn ist nur zu 25% zugänglich. Es ist die älteste U-Bahn der Welt und auch eine der tiefsten, was die Zugänglichkeit natürlich schwierig macht. Das ist aber nur die halbe Entschuldigung, denn es gibt auch U-Bahnstationen die überirdisch sind, die man schon längst zugänglich hätte machen können.

Du hast bei der BBC gearbeitet, welche Erfahrungen hast du dort gemacht?

Völlig überrascht bei der BBC hat mich die Kantine, wo behinderte Menschen ganz selbstverständlich präsent waren. Ich war auch in Deutschland bei Pressekonferenzen. Behinderte Menschen waren nie sichtbar. Selbst bei Channel 4 gibt es ganz selbstverständlich behinderte Menschen im Programm. Im Kinderkanal gibt es eine Moderatorin mit nur einem Arm, ein ehemaliger Basketball-Profi moderiert im Rollstuhl ein Reisemagazin, ein Nachrichtenredakteur sitzt auch ganz selbstverständlich im Rollstuhl oder steht an einem Stehpult. Mit ihm habe ich ein Wettrennen quer durch die Stadt gemacht. Er mit dem Handbike und ich mit der U-Bahn. Er hat gewonnen. Es ist schneller mit dem Fahrrad zu fahren als öffentlich, wenn man einen barrierefreien Weg braucht. Bei der BBC moderieren und arbeiten behinderte JournalistInnen Sendungen in vielen allen Bereichen. In Deutschland kenne ich auch 2 behinderte JournalistInnen, die aber meistens spezifische Behindertenmagazine moderieren. Behinderte Menschen werden gezeigt, ganz normal und werden als ExpertInnen zu allen Themenbereichen eingeladen und sei es zum Thema Kernkraftwerke.

Du machst auch Filme?

Ich hab jetzt einen Film gemacht, wo ich 2 Wochen lang mit einer winzigen Kamera durch die Stadt gefahren bin. Ich habe große Ketten wie Caféhäuser, Unternehmen usw. besucht und habe aufgedeckt, wie diese Ketten die Gesetze missachten. Der Minister für Behinderung musste sich dazu äußern und hat jetzt alle diese Firmen angeschrieben. Diese 2 Wochen waren für mich sehr komisch. Normalerweise habe ich solche Ereignisse alle 2-3 Wochen. Doch in dieser Zeit ist jeden Tag eine Diskriminierung passiert. Das kann man auch nicht faken. Immer wenn ich die Kamera an hatte, ist etwas Bescheuertes passiert. Ich habe mich gefragt, ob es einem im Alltag nicht mehr auffällt oder ob man aus der Kameraperspektive die Dinge erst bewusst sieht.

Kennst du die ORF-Sendung „Licht ins Dunkel“?

Ich saß schon vor 10 Jahren auf einem Podium und diskutierte mit dem ORF über behinderte JournalistInnen. Man erklärte mir, warum man beim Assessment stehend moderieren muss und warum kein Volontariat für behinderte Journalistinnen möglich ist. Beim ORF fehlen behinderte Menschen und die Vielfalt. Bei der BBC gab es Redaktionskonferenzen, an denen ich teilgenommen habe, wo niemand der Anwesenden in Großbritannien geboren war. Andere Hintergründe und andere Wertvorstellungen, andere Kulturen und Erfahrungen sind ein großer Schatz in Redaktionen. Das gilt auch für behinderte Menschen. Wir haben einen anderen Blick auf die Welt. Das ist sehr bereichernd für eine Redaktion und für die Fernsehwelt. Dem ORF geht da etwas verloren.

Wie wird in Großbritannien Sterbehilfe und assistierter Suizid diskutiert?

Sehr heftig. Die Behindertenbewegung ist gegen eine solche Gesetzgebung und demonstriert. Vor allem, da es Kürzungen im Sozialbereich gibt. Der Gesetzesprozess ist dadurch so verlangsamt worden, dass es in dieser Legislaturperiode, welche im Mai endet, nicht mehr zu einer Beschlussfassung kommen wird. Liz Carr, eine Schauspielerin aus „silent witness“ führt die Behindertenbewegung gegen assistierten Suizid an. Es ist lustig bei der Serie, denn im Drehbuch fand sich nicht, dass diese Rolle mit einem behinderten Menschen besetzt ist. Das ist typisch für BBC, da sie diese Rolle einfach so besetzen. Das ist toll!

Was sagst du zu Stephen Hawking, er ist ja für Sterbehilfe.

Das ist seine Privatmeinung. Er ist nicht der Frontkämpfer für Menschen mit Behinderung. Er hat kein modernes Bild, betreffend selbstbestimmtes Leben. Ich habe ihn nie getroffen. Ich habe mit ihm noch nie darüber persönlich geredet.

Wer ist Christiane Link?

Christiane Link ist Journalistin und Unternehmerin. Seit 2006 lebt sie in London, geboren ist sie in Mainz und hat lange in Hamburg gelebt. Sie hält Vorträge über das Thema Barrierefreiheit und berät europaweit Unternehmen darin, wie sie ihren Service für behinderte Kunden verbessern können. Außerdem fliegt sie leidenschaftlich gerne und hat ein Faible für U-Bahnen. Seit kurz nach ihrer Geburt ist Christiane Link querschnittgelähmt und daher im Rollstuhl unterwegs.

Sie ist zudem im Vorstand der Organisation „Transport for All„, die sich für barrierefreie öffentliche Verkehrsmittel in London einsetzt.

Ihr Weblog Behindertenparkplatz (http://www.behindertenparkplatz.de) erhielt 2007 den Preis „Best of Blogs“ der Deutschen Welle. Aktuell schreibt sie in der Zeit den Blog „Stufenlos“ (http://blog.zeit.de/stufenlos/)