Festrede von mir zum 60-jährigen Jubiläum des Katholischen Familienverbandes am 20.4.2013 bei einem Festakt in Wien.

Hier sehen sie das Video: Teil 2: Leistungsgesellschaft und pränatale Selektion

Sehr geehrte Damen und Herren, wir leben in einer Leistungsgesellschaft. Leistung ist nichts Schlechtes. Bei behinderten Menschen besteht nur oft das Problem, dass man ihnen keine gleiche Leistung zutraut und sie daher von ganzen Berufsständen, wie Lehrer oder Richter, ausschließt. Behinderte Menschen muss man etwas leisten lassen. Die so genannte Leistungsgesellschaft wird dann zum Problem, wenn Anforderungen und Erwartungen überfordern. Behinderte Menschen haben hier eine besondere Rolle inne, denn sie stellen perfektionistische Gesellschafts- und Rollenbilder schnell in Frage.

Eltern, die ein behindertes Kind zur Welt bringen, müssen sich dafür rechtfertigen. Das wäre durch die Fortschritte der Pränataldiagnostik doch vermeidbar gewesen. Die Geburt eines behinderten Kindes wird zum Schadensfall erklärt.

Wussten Sie, dass bei Verdacht auf eine Behinderung ein Baby über die Dreimonatsfrist hinaus bis zur Geburt abgetrieben werden darf? Sollte der Fötus bereits außerhalb des Mutterleibes in einem überlebensfähigen Stadium sein, wird er wie folgt abgetötet: Unter Ultraschallsicht wird der Schwangeren mit einer Injektionsnadel über die Bauchdecke in die Gebärmutter und die Fruchtblase gestochen. Über die Nabelschnurblutgefäße werden dem Fötus zunächst schmerzstillende Medikamente verabreicht, im Anschluss erfolgt die Injektion von Kaliumchlorid in das fetale Herz. Der daraus resultierende Herzstillstand tritt innerhalb weniger Minuten ein.

Der soeben beschriebene Fetozid entstammt keinem Gruselfilm, sondern ist gängige Praxis, um zu verhindern, dass der fertig ausgebildete Fötus nach der Abtreibung außerhalb des Mutterleibes weiterlebt. Die Kaliumchloridspritze wird u.a. auch zum Einschläfern von Haustieren und bei der Vollziehung der Todesstrafe in den USA verwendet. In Deutschland wurden 2012 363 Spätabtreibungen durchgeführt. In Österreich gibt es nicht einmal eine Statistik. In Anlehnung an die deutschen Zahlen wären das in etwa 40 Fetozide pro Jahr. 40 zu viel. Die Eugenische Indikation ist eine Diskriminierung und Menschenrechtsverletzung. Es bedarf dringender gesetzlicher Neuregelungen.

Vor kurzem wurde gefordert, das Recht auf Glück in der österreichischen Bundesverfassung zu verankern. Ein absurdes Anliegen, denn der Staat kann Leid, Tiefschläge oder Schicksal nicht verhindern. Würde es zum verfassungsrechtlichen Glück gehören, behindert zu sein? Ganz sicher nicht. Und doch kenne ich Menschen mit Down-Syndrom, die ein glückliches und zufriedenes Leben führen. Durch die pränatale Rasterfahndung kommen immer weniger Kinder mit Down-Syndrom zur Welt.

Glück kann nicht durch das Mikroskop gesehen werden, wie es manche Wissenschaftler behaupten. Sie verheißen eine behindertenfreie und leidfreie Gesellschaft. Ich glaube, in Wirklichkeit wäre das eine schreckliche Gesellschaft, in der wohl keiner von uns leben möchte und auch ich nicht existieren würde. Meine Vision einer Gesellschaft in 20 Jahren sieht anders aus: Ein behinderter Mensch ist kein Schadensfall mehr, Eltern freuen sich über die Geburt eines behinderten Kindes, da sie durch Förderungen und Inklusion in allen Lebensbereichen keine Zukunftsängste mehr haben müssen. Es gibt keine Sonderschulen mehr, in denen behinderte Kinder von der Gesellschaft selektiert werden. Die Verkehrsmittel sind barrierefrei, der Wohnungsnachbar hat Down-Syndrom und die Chefin sitzt im Rollstuhl. In den Gerichten urteilen blinde Richter/innen und im Fernsehen wird der gehörlose Bundespräsident in Gebärdensprache interviewt.

Wir sollten uns zum bedingungslosen Wert des Lebens bekennen. Leben ist nicht perfekt, sondern bunt und vielfältig. Das macht Lebensglück aus, und nicht der perfekt designte Einheitsmensch.  Führen wir die Ethik-Diskussionen über eugenische Indikation, Präimplantationsdiagnostik und „Kind als Schadensfall“ unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde!