Schon vor meiner Beatmung habe ich mit der Unterstützung von Persönlichen AsstistentInnen gelebt. Ich hatte vier AssistentInnen, die mich in der Früh anzogen, mich ins Büro brachten, dort wieder abholten, mir zu Essen gaben, Texte am Computer schrieben, mich für den Mittagsschlaf auf die Couch legten, katheterisierten und mit mir schwimmen gingen. Zu dem konnte ich nur noch schlecht atmen und hatte ständig Bronchitis bzw. Lungenentzündungen. Unsere Methoden damit umzugehen waren sehr pragmatisch: mich auf die Couch hiefen, die Assistentin saß am Couchrand, zog meinen Oberkörper auf ihre Oberschenkel, sodass mein Kopf nach unten viel und dann klopfte sie so stark sie konnte auf meinen Rücken. So löste sich der Schleim in der Lunge, ich konnte ihn ausspucken und wieder ein paar Minuten atmen. Ab und zu war ich so verschleimt, dass ich vom Klopfen schon blaue Flecken hatte. Aber es war die einzige Methode, die wirklich half.
Wenn ich im Rollstuhl unterwegs und die Lunge voll verschleimt war, hatten wir auch eine Methode gefunden: die Assistentin zog mich im Rollstuhl hoch, sodass ich auf den Fußbrettern stand und dann lies sie mich in den Rollstuhl ungebremst zurückfallen. Für Außenstehende war das ziemlich brutal. Aber durch den Aufprall wurde die Lunge derart zusammengedrückt, dass die letzte Luft darin und der Schleim dazu über den Mund entfernt werden konnte. Das war die große Alternative zum nicht mehr aufhusten können.
Meine AssistentInnen waren also bereits einiges gewohnt, als Judit ihnen per Mail schrieb, dass ich vom Krankenhaus entlassen und wieder nach Hause zurückkehren kann, aber mit einem Beatmungsgerät. Judit fragte sie, ob sie weiterhin als AssistentInnen arbeiten wollen. Und alle sagten zu! Das war großartig! Ohne diese Unterstützung hätten wir nicht gewusst, wie das überhaupt zu Hause funktionieren hätte sollen.
Die vier AssistentInnen wurden von den Krankenschwestern im Otto-Wagner-Spital eingeschult und es entstand Fröhlichkeit und Leben im Spital. Bald verlor das Pflegepersonal den Überblick, wer welche Assistentin ist. Ich durfte beispielsweise nichts trinken, brauchte aber unbedingt Kaffee. Natürlich holten mir die AssistentInnen brav aus dem Automaten geheim den Kaffee. Lange blieb das aber nicht unentdeckt, da sich auf meinem weißen Nachthemd unter dem Tracheostoma merkwürdige große braune Flecken bildeten. Ich war damals noch nicht gut abgedichtet, zudem konnte ich nicht gut schlucken und der Kaffee landete nicht nur im Magen sondern floss auch über das Tracheostoma auf das Nachthemd. Das brachte mir ebenso eine Rüge ein, wie die mitgebrachten Bananen. Eine Krankenschwester dazu: „Was wollen Sie mit den Bananen, essen? Wenn Sie das probieren entdecken wir das sicher, die stinken beim Absaugen so!“.
Bevor die AssistentInnen kamen, hatte ich eine Ernährungssonde über die Nase, die mich furchtbar störte und auch wehtat. Bei einem Transferwechsel zog sie Assistentin Katja versehentlich aus der Nase. Ich war glücklich! Aber die Ärzte waren entsetzt, wie sollten sie mich jetzt ernähren?!
Die AssistentInnen lernten im Spital die Atemkanüle absaugen, die Kanüle wechseln, das Tracheostoma pflegen und wie man in Notfällen richtig handelt. Es entstanden mit meiner Frau ein richtiges professionelles Team, das genau auf meine Bedürfnisse eingeschult war.
Dürfen Persönliche AssistentInnen medizinnahe Tätigkeiten durchführen? Ja, sie dürfen. Seit 2008 gibt es im GuKG folgende Regelung: § 3c. des GuKG (1) Einzelne pflegerische Tätigkeiten an Menschen mit nicht nur vorübergehenden körperlichen Funktionsbeeinträchtigungen oder Beeinträchtigungen der Sinnesfunktionen, die geeignet sind, diesen Menschen eine gleichberechtigte und selbstbestimmte Lebensführung zu verwehren, dürfen von Angehörigen des gehobenen Dienstes für Gesundheits- und Krankenpflege im Einzelfall nach Maßgabe der Abs. 2 bis 5 Laien angeordnet und von diesen ausgeübt werden. Nähere Informationen sind unter RIS abrufbar, wenn man den Suchbegriff „GuKG Persönliche Assistenz“ eingibt. Das GuKG ist das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz, wo pflegerische Tätigkeiten österreichweit geregelt sind.
Dieser gesetzlichen Regelung ging ein nicht so einfach politischer Diskurs im Jahr 2007 voraus. Ich wollte es nicht verstehen, warum Persönliche AssistentInnen hier im gesetzlichen Graubereich arbeiten sollen. An meinem Beispiel konnte ich anschaulich verdeutlichen, wie gut das bei einer fachlichen Einschulung funktionieren kann. Die Pflegegewerkschaft war strikt dagegen. So als ginge es hier um qualifizierte Arbeit, die nur Pflegefachkräfte durchführen dürften. Aber gleichzeitig durften das auch pflegende Angehörige. Aber nur so lange, sie kein Geld dafür bekommen. Hätte ich meiner Frau für ihre Pflegetätigkeiten das Pflegegeld bezahlt, wäre ihre Pflegetätigkeit illegal gewesen. Bei der politischen Diskussion ging es nicht um Pflegequalität sondern rein um berufsständische Interessen. Vor der Beschlussfassung im Parlament gab es sogar eine Gewerkschaftsdemonstration vor dem Parlament mit Patenzettel und Särgen, symbolisch für die behinderten Menschen, die sterben werden, wenn Persönliche AssistentInnen Pflegetätigkeiten durchführen dürfen. Bislang weiß ich von keinem Todesfall. Aber von vielen behinderten Menschen, die ein selbstbestimmtes Leben führen können, auch wenn sie stark pflegebedürftig sind!
Ich habe jetzt ein Team von neun AssistentInnen. Viele bleiben lange, 1-3 Jahre, der Rekord liegt bei acht Jahren. Trotzdem gibt es in einem so großen Team eine gewisse Fluktuation. Die neuen AssistentInnen werden von den „alten“ AssistentInnen und meiner Frau eingeschult. Die Einschulung dauert vier Wochen, wo die Bewerberin zusieht und Schritt für Schritt unter Aufsicht selbst Tätigkeiten durchführt. Am Ende steht eine Prüfung durch eine Pflegefachkraft mit schriftlicher Dokumentation an. Das ist ein gutes und bewehrtes System. Nur so kann ich ein selbstbestimmtes Leben führen, mit meiner Familie und den zwei Kindern zu Hause leben und einem Beruf nachgehen. Es gibt noch immer Patienten, die im Krankenhaus leben müssen, weil sie keine ausreichende Unterstützungen zu Hause bekommen können. Es braucht sicherlich starke Angehörige oder die nötige Kompetenz des behinderten Menschen, mit persönlicher Assistenz zu leben. Aber wenn es keine Angehörigen gibt, ist ein Lebensmodell für einen beatmeten Menschen nur mit persönlicher Assistenz sehr schwierig – aber nicht unmöglich. Ich sehe das bei mir, es funktioniert wunderbar.
Trotzdem kommt es immer wieder vor, dass eine Assistentin verschläft oder nicht da ist. Zum Glück ist das sehr selten, aber dann ist meine Frau da. Sie ist auch ein Sicherheitsnetz für die AssistentInnen. Vieles ist Routine und überhaupt kein Problem. Wenn aber etwas Ungewöhnliches auftritt wie eine Hautrötung, die Maschine merkwürdige Geräusche von sich gibt oder irgendwo Luft entweicht und die Ursache nicht zu finden ist, wird Judit um Rat gefragt. Und zu meist hat sie auch eine Lösung.
Wenn Sie mehr über persönliche Assistenz wissen wollen oder selbst eine suchen bzw. in diesem Bereich auch arbeiten wollen, hier wichtige Kontakte:
1) Wiener Assistenzgenossenschaft: WAG Vermittlung von Persönlicher Assistenz, es werden auch Kurse für behinderte Menschen angeboten
2) BIZEPS: Zentrum für selbstbestimmtes Leben
3) Persönliche Assistenz am Arbeitsplatz, wird finanziert durch das Bundessozialamt
4) Fonds Soziales Wien Möglichkeit der Finanzierung von persönlicher Assistenz durch die Pflegegeldergänzungsleistung (Geld für WienerInnen, in den Bundesländern gibt es unterschiedliche Regelungen, zuständig ist die jeweilige Landesregierung)
Kommentare von Franz Huainigg