Freaks around the world

Freaks sind oft ein wenig verrückt, stellen die Norm in Frage und geben durch ihr Leben anderen so manches Rätsel auf. Welche Freaks leben in anderen Ländern? Wie gestalten sie ihr Leben und welche Geschichten haben sie zu erzählen? Unser Freak Franz-Joseph Huainigg rumpelt mit seinem Elektrorollstuhl und dem piepsenden Beatmungsgerät durch die Welt, um andere Freaks zu treffen und ihre Lebenssituationen zu portraitieren. Hierbei entstehen tolle Geschichten, Fotos und Videos, die er gerne mit euch teilen möchte: So let’s get freaky!

„Mein Traum ist ein Rehabilitationszentrum, in dem jeder die Behandlung bekommt, die ihm zusteht!“

Mit der Barrierefreiheit ist das so eine Sache. Es ist Samstagabend am Flughafen Wien, ich verabschiede mich von meiner Familie und rolle mit Pia und Evelyn zum Gate. Plötzlich die Durchsage: „Das Flugzeug musste ausgetauscht werden, wir fliegen mit einer kleineren Maschine“. Ein erstes Unmutsgefühl macht sich breit, buchten wir doch extra den Flug Samstagnacht, weil Sonntagmittag nur eine kleine AUA-Maschine nach Tirana fliegen würde. Und tatsächlich werden wir an diesem Samstagabend zwar mit einem Spezialbus bis zum Flugzeug gebracht und zur Einstiegstüre nach oben gehievt, dort heißt es dann aber, dass wir nicht mitfliegen können, denn die verhältnismäßig kleine Fokker hat einen zu schmalen Mittelgang für die Trage, auf der ich ins Flugzeug getragen werde, und einen zu kleinen Gepäcksraum für meinen nicht zusammenklappbaren Elektrorollstuhl. Wir werden auf den nächsten Tag vertröstet und sind einigermaßen frustriert.

Am Sonntag klappt es dann, wir landen in Tirana, wenn auch einen Tag verspätet und sehr spät in der Nacht. Am Flughafen erwarten uns u.a. eine nette junge Dame von der Caritas Albanien und ein Mann im Rollstuhl. Wir begrüßen einander und ich freue mich, dass – so nehme ich an – ein lokaler Behindertenvertreter die Mühe nicht gescheut hat, mich spät in der Nacht am Flughafen zu begrüßen. Wir rollen gemeinsam zu einem großen Mercedes-Bus mit elektrischer Rampe, die der Rollstuhlfahrer per Fernbedienung runterlässt. Er fährt zuerst selbst auf die Rampe und bewegt sich nach oben, ich folge ihm. Ich bin erstaunt, dass es so ein tolles barrierefreies Auto in Albanien gibt. Dann werden meine Augen aber noch größer: Der Rollstuhlfahrer hievt sich aus seinem Rollstuhl in den Fahrersitz! Er ist unser Fahrer! Wieder per Fernbedienung fährt er die rückwärtige Rampe hoch und schließt die Hintertüren. „So etwas habe ich in Österreich noch nie gesehen“, sage ich erstaunt zu ihm. Mein brennendes Interesse an unserem Fahrer und seiner Geschichte ist erwacht. Während der Zeit unseres Aufenthalts chauffiert er uns durch Tirana, macht mit seiner Kamera Selfies von sich und uns im Hintergrund und freut sich, dass er uns unterstützen kann: „Es hat sich gelohnt, dass ich mir mit dem Umbau meines Autos so viel Mühe gegeben habe, so kann ich Sie fahren. Es ist das einzige Auto in Albanien, mit dem Sie mit dem Elektrorollstuhl gefahren werden können“, erzählt er uns. Ich sage ihm, dass wir es sind, die dankbar sein müssen, dass es ihn und sein Auto gibt. Zwischen dem Besuch der Österreichischen Botschaft und einer Ausstellungseröffnung setzen wir uns zusammen und er erzählt mir seine Lebensgeschichte:  

Ich war am 5. August 1997 mit meiner Vespa auf dem Weg zur Arbeit und erlitt einen schwerwiegenden Unfall. Mein Rückgrat war nach dem Sturz gebrochen. Und das mit 25 Jahren. Ein Jahr lang musste ich im Krankenhaus bleiben. Durch das lange Liegen bekam ich offene Wunden, deren Heilung sehr langwierig war.

Ich überlegte, was ich nun machen soll. Die einzige Möglichkeit in meiner Heimatstadt, die 20 Kilometer von Tirana entfernt ist, war, einen Verein für Menschen mit Behinderung zu gründen. Das war 1999. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch überhaupt keine Rechte und unser Status als Menschen mit Behinderung war in Albanien nicht anerkannt.

Mein erstes Auto war ein Mercedes Benz, Baujahr 1981. Ich habe das Auto modifiziert, indem ich die zwei Fußpedale für den Handbetrieb selbst umbaute. Die Konstruktion habe ich selbst entworfen. Auch eine Handsteuerung der Bremse.

Ich kam im Jahr 2000 nach Tirana und wurde Vorsitzender des von mir mitgegründeten Verbandes. Unser Verband hat im Parlament eine Gesetzesinitiative vorgelegt, mit den Anliegen der Barrierefreiheit und dem Zugang zu Bildung. Nach zwei Hungerstreiks von uns wurde das Gesetz tatsächlich verabschiedet, aber leider zahnlos, da es keine Sanktionen vorsah. Das Gesetz hatte keinerlei Effizienz, was ich leider selbst miterleben musste.

Ich wohnte damals im Erdgeschoss, musste zu meiner Wohnung aber sieben Stufen überwinden. Ich baute im Vorhof eine Art Rampe, damit ich mit meinem Rollstuhl hinein konnte, aber die Baubehörde kam und ließ diese wieder abreißen. Das ist nur eines von vielen Beispielen.

2001 suchte ich in Dänemark um politisches Asyl an. Ich forderte dort internationale Unterstützung für die Probleme von behinderten Menschen in Albanien. Ein Arzt im Aufenthaltszentrum für politische Asylanten hat mich untersucht und festgestellt, welche Traumatisierungen ich durch meine schlechte Versorgung hatte. 2002 kam ich so in ein Rehabilitationszentrum in Dänemark. Dort wurde ich erstmals zwei Monate lang durch Psychologen, Ergo- und Physiotherapeuten sowie einen Arzt für innere Medizin intensiv therapiert. Ich setzte mich auch mit dem Dänischen Behindertenverband in Verbindung. Dort gab es im Gegensatz zu Albanien einen Dachverband für von Geburt an behinderte Menschen als auch für jene, die später aufgrund einer Krankheit oder eines Unfalls Behinderungen bekamen. Der dänische Verband verschaffte mir Kontakt zum Behindertenverband in Großbritannien.

Nach meiner Entlassung 2003 sagte mir der dänische Chefarzt, er würde mir helfen, in Albanien ein solches Rehabilitationszentrum zu errichten. So nahm ich nach meiner Rückkehr nach Albanien Kontakt mit dem Gesundheitsministerium auf und begann den Kampf für eine solche Einrichtung. Der jetzige Gesundheitsminister hat zugesagt, dass eines der öffentlichen Krankenhäuser zum 1. Rehabilitationszentrum Albaniens umgebaut werden soll.

Das Rehabilitationszentrum in Dänemark empfahl mir, ein größeres Auto zu nehmen, in das ich mit meinem Rollstuhl selbst hineinfahren kann. 2009 kaufte ich in Deutschland ein Auto um € 5.500.-, das ich nicht mehr umbauen musste, da es schon vollständig adaptiert war. Ich kaufte es gebraucht von einem Besitzer mit ähnlicher Behinderung, es war aber in einem sehr guten Zustand. Finanzielle Unterstützung vom Staat gab es leider nicht. Das Problem war und ist, dass solche umgebauten Autos in Albanien nicht den Gesetzen entsprechen. Bis dahin hatte ich einen Golf 3, den ich, wie gesagt, auch selbst umgebaut hatte. Der Vize-Minister für Finanzen half mir, das umgebaute Auto aus Deutschland nach Albanien einzuführen. Das gelang mit einem Trick: Ich behielt das deutsche Kennzeichen und es gibt die Regelung, dass ein solches Fahrzeug nach einiger Zeit in Albanien registriert werden kann.

Im Laufe der letzten Jahre wurden die Renten für Menschen mit Behinderungen ständig erhöht und ich erhalte derzeit eine Rente von € 500.-, was in Albanien ein gutes Einkommen darstellt. 2006 habe ich meine Frau geheiratet, die Krankenschwester ist. Wir haben gemeinsam einen fünfjährigen Sohn.

Es ist ein großer Traum von mir, ein Taxi-Unternehmen zu gründen. Aber mein primäres Ziel ist die Errichtung eines Rehabilitationszentrums, damit jeder behinderte Mensch die Behandlung bekommt, die ihm zusteht.

Der Autor Franz-Joseph Huainigg ist ÖVP-Sprecher für Menschen mit Behinderung sowie für Entwicklungszusammenarbeit und Abgeordneter zum Nationalrat. Auf seiner Homepage www.franzhuainigg.at können alle Freak-Portraits nachgelesen werden. Zudem bekommt man dort einen guten Eindruck, wie der Autor mit Beatmungsgerät und Persönlicher Assistenz selbstbestimmt und glücklich lebt.